Der Antrag zum Download (Drs. 17/4427)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 18. Juni 2009 das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen verabschiedet (Bundestagsdrucksachen 16/12850, 16/13411). Das Gesetz wurde am 17. Februar 2010 ausgefertigt (BGBl. I S. 78) und ist am 23. Februar 2010 in Kraft getreten.

Zwischenzeitlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Internetsperren wenig effektiv, ungenau und technisch ohne größeren Aufwand zu umgehen sind. Diese Einschätzung wurde im Rahmen eines öffentlichen Expertengesprächs des Unterausschusses Neue Medien des Ausschusses für Kultur und Medien am 25. Oktober 2010 zum Thema „Kampf gegen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: technische und organisatorische Fragen“ bestätigt. Internetsperren leisten keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornographie und schaffen zudem eine Infrastruktur, die grundsätzliche Bedenken hervorruft und verfassungsrechtlich höchst problematisch ist.

Das Zugangserschwerungsgesetz ist daher zur wirksamen Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet nicht geeignet. Vielmehr bedarf es der Weiterenticklung von effektiven Bekämpfungsstrategien, um die Löschung derartiger Angebote im Internet auf der Grundlage des geltenden Rechts durchzusetzen. Zur Bekämpfung der Verbreitung von sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet sind eine verbesserte technische und personelle Ausstattung der Polizeibehörden, die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sowie die Verbesserung der Zusammenarbeit auf nationaler und insbesondere auf internationaler Ebene erforderlich, um die Löschung kinderpornographischer Netzinhalte zeitnah und effektiv durchzusetzen und eine konsequente Strafverfolgung zu erreichen.

Die Fraktion der SPD hat deshalb am 23. Februar 2010 den Gesetzentwurf zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen in den Deutschen Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/776). Dieser Gesetzentwurf wurde, gemeinsam mit dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen und Änderung weiterer Gesetze (Bundestagsdrucksache 17/772) und dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE. zur Aufhebung von Zugangsbeschränkungen in Kommunikationsnetzen (Bundestagsdrucksache 17/646), am 25. Februar 2010 in erster Lesung beraten. Zuvor hatte der Petitionsausschuss am 22. Februar 2010 eine öffentliche Anhörung durchgeführt, nachdem über 134 000 Menschen binnen weniger Wochen eine Petition gegen das Zugangserschwerungsgesetz (ZugErschwG) unterzeichnet hatten.

Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Zugangserschwerungsgesetz zunächst für ein Jahr nicht anzuwenden. Dementsprechend wurde das Bundeskriminalamt (BKA) durch Erlass des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 17. Februar 2010 aufgefordert, den „in § 1 Abs. 2 ZugErschwG eingeräumten Beurteilungsspielraum dahingehend zu nutzen, dass keine Aufnahme in Sperrlisten erfolgt und Zugangssperren unterbleiben.“

Die am 10. November 2010 durchgeführte öffentliche Anhörung des federführenden Rechtsausschusses zu den Gesetzentwürfen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. hat nachdrücklich bestätigt, dass der derzeitige Rechtszustand und die Aussetzung des Zugangserschwerungsgesetzes durch einen Erlass des BMI verfassungswidrig ist.

Die per Erlass gegebene Anweisung, keine Sperrlisten zu führen und an die Provider zu übermitteln, verstößt gegen zwingendes, höherrangiges Recht, da § 1 Absatz 1 ZugErschwG insoweit keinen Beurteilungsspielraum eröffnet. Die Anordnung der Nichtanwendung durch Ministererlass verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Die Bindung der Verwaltung an das Gesetz wird unterlaufen, wenn Verwaltungsvorschriften parlamentarischen Gesetzen gleichgeordnet wären oder diesen in der Interpretation sogar vorgehen sollten.

Nicht zuletzt anlässlich der aktuellen Beratungen zum Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (Ratsdok. 8155/10) besteht Handlungsbedarf. Die EU-Justizminister haben sich am 3. Dezember 2010 mehrheitlich darauf verständigt, dass die Webseiten mit Abbildungen von sexuellem Kindesmissbrauch gesperrt werden sollen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– unverzüglich einen Entwurf zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen vorzulegen und den verfassungswidrigen Zustand der Aussetzung eines parlamentarischen Gesetzes durch Erlass des BMI zu beenden;

– sich bei den weiteren Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (Ratsdok. 8155/10) nachdrücklich für das Prinzip „Löschen statt Sperren“ einzusetzen und bei den anderen Mitgliedstaaten für die wirksame Löschung derartiger Angebote anstelle symbolpolitischer Sperrungen zu werben. Ziel muss es sein, den Mitgliedstaaten den Spielraum zu eröffnen bzw. zu belassen, keine entsprechende Sperrinfrastruktur aufbauen zu müssen;

– die Gespräche mit Selbstkontrolleinrichtungen, Beschwerdestellen und dem BKA zur Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Löschung von kinderpornographischen Inhalten auf ausländischen Servern schnellstmöglich zum Abschluss zu bringen und das „Harmonisierungspapier zum zukünftigen Umgang mit Hinweisen auf kinderpornographische Webseiten beim BKA, den deutschen Beschwerdestellen (eco e. V., FSM e.V., jugendschutz.net) sowie der BPjM“ zu unterzeichnen (eco e. V.: Verband der deutschen Internet- wirtschaft e.V., FSM: Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. und BPjM: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien).