Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung

Der Philosoph und Journalist Christian Schüle beschreibt es so: Die soziale Demokratie habe für eine offenere Gesellschaft, für mehr Gleichstellung der Geschlechter und für eine soziale Zähmung der Marktwirtschaft durch den Mindestlohn gekämpft und gesiegt. Doch immer weniger Menschen in Europa unterstützen eine progressive sozialdemokratische Politik. Stattdessen sind Zukunftsängste, Verunsicherung und Ungleichheiten Nährboden für wachsenden Populismus.

Unter anderem darüber, welche Antworten die Sozialdemokratie auf die gesellschaftlichen Herausforderungen geben soll und wie sie neue Glaubwürdigkeit gewinnen könnte, ging es in einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Oktober unter dem Titel „Mehr soziale Demokratie wagen!“ im Kölner MediaPark. Hierzu diskutierten der kultur- und medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Martin Dörmann, der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Meyer (TU Dortmund) sowie der Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für die nordischen Länder in Stockholm, Dr. Christian Krell. Moderiert wurde die Debatte von der Ländermanagerin der Deutsche Welle Akademie, Mirjam Gehrke.

Mit einer Bestandsaufnahme der Wirkung sozialdemokratischer Politik eröffnete Dörmann die Podiumsdiskussion. „Als SPD besetzen wir viele Themen, mit denen wir uns von konservativen Parteien abgrenzen. Doch die Frage ist: Wie können wir diese Themen so zuspitzen, dass sie in der Bevölkerung ankommen und dazu führen, dass wir als Partei gewählt werden?“ Mit der Umsetzung des Mindestlohns, eines Rentenpakets und mehr Geld für Bildung und Kommunen habe die SPD Glaubwürdigkeit zurückgewonnen und gute Werte bei ihrer Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit. Derzeit überlagerten die Stimmung in der Bevölkerung jedoch Themen wie innere Sicherheit oder die Flüchtlingsfrage, bei deren Lösung der SPD weniger als der Union zugetraut werde, obwohl die SPD aus seiner Sicht die besseren Antworten liefere und beispielsweise ein Integrationsgesetz durchgesetzt habe. Hier wirkten die längerfristigen Kompetenzzuschreibungen der Parteien. Zur Bundestagswahl 2017 müsse es gelingen, die innenpolitische Frage wieder stärker auf Gerechtigkeitsthemen zu lenken. Da gäbe es genug anzupacken, etwa im Hinblick auf Chancengleichheit und die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems.

Eine Themenzuspitzung gelinge vor allem der Partei Alternative für Deutschland (AfD) besser, warf Gehrke ein: „Die mobilisiert sogar Nicht-Wähler“, sagte sie. Doch Meyer zeigte sich überzeugt, dass Parteien auch mit Gerechtigkeitsthemen und nicht nur mit dem Schüren von Ressentiments punkten könnten. „In unserer Gesellschaft gibt es einen großen Anteil Armer und von Armut Bedrohter“, erläuterte er. Aktuell existiere eine Stimmung derer nach viele BürgerInnen nicht mehr an die Möglichkeiten des persönlichen sozialen Aufstieges glaubten. „Die SPD muss ihr altes Versprechen von einem Aufstieg, der allen BürgerInnen möglich ist, wieder wahrmachen“, forderte Meyer.

Ein zweites Thema mit dem die Sozialdemokratie aus Sicht des Professors punkten könne, seien die Geflüchteten: „Hier muss die Partei zeigen, wie wir das schaffen können. Die SPD muss und kann hier Antworten geben. Es ist noch nicht solidarisch, eineinhalb Jahre lang Deutschlands Türen zu öffnen“, sagte er. Vielmehr müsse Solidarität in den Herkunftsländern der Geflüchteten gezeigt werden. „Solidarität, die zu Hause hilft, wirkt langfristig und nachhaltig“, zeigte sich Meyer überzeugt.

Dass sich das Idealbild eines sozialdemokratischen Skandinaviens, wie es vor allem in den 80er-Jahren vorherrschte, verändert hat, machte Krell deutlich. In Schweden regiere eine rot-grüne Minderheitsregierung, allerdings erreiche die norwegische Arbeiterpartei 35 bis 38 Prozent als Wahlergebnis. „Eine starke Gleichheitsorientierung scheint mir hier die Gewinnerformel zu sein. Bei uns liegt der Grad der gewerkschaftlichen Organisation von Arbeitnehmer­Innen bei 16 oder 17 Prozent. In Norwegen sind 80 Prozent gewerkschaftlich organisiert“, analysierte Krell. Zwar könne die deutsche Sozialdemokratie aus seiner Sicht nur wenig von den nordischen Ländern lernen, doch befinde sich die Partei auf dem richtigen Weg. „Die SPD wendet sich verstärkt der gesellschaftlichen Gleichheit zu. Das war zum Beispiel an der Erbschaftssteuerdebatte und der Förderung nach höheren Bildungsausgaben, die zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, zu merken“, zeigte er sich überzeugt.

Am Beispiel Großbritanniens verwies Krell darauf, dass es nach wie vor einen Hunger nach Solidarität und Gerechtigkeit gebe. „An eine Entsolidarisierung glaube ich nicht. Ich beobachte fasziniert die aktuelle Lage in Großbritannien. Dort treten nach dem Brexit-Beschluss massenhaft junge AktivistInnen in die Labour-Partei ein“, sagte er. Doch natürlich nehme auch er den massiven Mitgliederschwund der SPD seit den 90er-Jahren wahr. Meyer pflichtete ihm bei, dass die jüngeren Mitglieder unserer Gesellschaft nicht per se unpolitisch seien. „Doch sie suchen sich kleinere Organisationen als Parteien. Sie wollen sehen, was aus ihrem Engagement wird und was ihr Anteil am großen Ganzen ist“, erläuterte er.

Meyer sprach sich für eine diskutierende SPD aus: „Eine lebendige Diskussion ist doch attraktiver als eine Augen-zu-und-durch-Haltung. In der Zeit Willy Brandts war die SPD eine sehr erfolgreiche diskutierende Partei. Wir müssen offen diskutieren, den Rahmen abstecken und die gesellschaftliche Debatte hören, um wieder erfolgreich zu sein“, formulierte er seinen Appell.

Dörmann führte schließlich an, dass seine Partei laut einer Allensbach-Umfrage ein Potenzial von 37 Prozent habe. Aktuell komme sie aber nur auf 22 oder 23 Prozent. „Es muss uns gelingen, diese Schere zu verkleinern: durch ein akzentuiertes Wahlprogramm, das Visionen entwickelt, die sich in praktische Politik umsetzen lassen und deshalb glaubwürdig sind.“