Kulturpolitik muss einen Rahmen schaffen, in dem freies künstlerisches und kreatives Arbeiten möglich ist. Und zwar ohne kommerzielle Interessen verfolgen zu müssen, also mit finanzieller Absicherung der Künstlerinnen und Künstler.

Ich danke Wolfgang Thierse für seinen Impuls für eine grundsätzliche Diskussion der Eckpunkte und Vorstellungen sozialdemokratischer Kulturpolitik. Unabhängig von Wahlkämpfen und der aktuellen Situation, dass die SPD mit in der Regierungsverantwortung auf Bundesebene ist, braucht es eine lebhafte und auch kritische Debatte darüber, was sozialdemokratische Kulturpolitik bedeutet angesichts wichtiger Herausforderungen wie leere Kassen, Globalisierung, demografischer Wandel, Digitalisierung und der damit einhergehende Strukturwandel, um nur die wesentlichsten zu nennen, und welche Geltung grundlegende Werte sozialdemokratischer Kulturpolitik nach wie vor haben.

Die Perspektive des Künstlers

Ich will einen Aspekt hervorheben, der in den von Wolfgang Thierse beschriebenen Grundsätzen aus meiner Sicht etwas zurückhaltend angesprochen wird, gleichwohl aber zum Grundverständnis sozialdemokratischer Kulturpolitik gehört: die Perspektive des Künstlers, des Kreativen, desjenigen also, der Kultur schafft und seine kreativen Ideen umsetzt. „Kulturpolitik soll der Autonomie der Kunst dienen, deren Selbstzwecksetzung“ schreibt Wolfgang Thierse zu Recht. Kulturpolitik soll also einen Rahmen ermöglichen, innerhalb dessen freies, nicht zuvorderst von kommerziellen Verwertungsinteressen geprägtes künstlerisches und kreatives Schaffen möglich sein kann.

Ein Rahmen, in welchem künstlerische Projekte realisiert, in dem nachgedacht, ausprobiert, angeregt, kritisiert, aber auch unterhalten werden darf. Ohne, dass es sich rechnet, dass viele Besucher kommen, dass größtmögliche Aufmerksamkeit erzeugt wird oder höchste künstlerische und ästhetische Qualitätsmaßstäbe erfüllt werden. Ein Raum, der den Erfolg, aber auch das Scheitern zulässt und dann auch die zweite oder dritte Chance.

Kreativität braucht Raum

Diesen Raum brauchen viele. Zum einen der Künstler und Kreative, der allein oder im Kollektiv und im Projekt arbeitet und hofft, erfolgreich zu sein und im besten Fall von seiner Arbeit auch leben zu können. Zum anderen aber auch diejenigen, die Kunst und Kultur in ihrer Freizeit oder als ehrenamtliches Engagements ermöglichen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben, um etwas beizutragen zu ihrem Gemeinwesen und es auf diese Weise lebenswerter zu machen.

Sie alle brauchen Freiheit, Autonomie und Unabhängigkeit, aber auch Unterstützung und Förderung. Denn in den allermeisten Fällen rechnet sich Kunst nicht. Ganz im Gegenteil: Vieles hat es schwer, sich durchzusetzen und am künstlerischen und/oder kommerziellen Markt zu etablieren. Diese Perspektive gehört dazu, wenn wir Vielfalt, kulturelle Teilhabe und öffentliche Verantwortung völlig zu Recht als Leitbilder sozialdemokratischer Kulturpolitik benennen.

Einkommen der Künstler sichern

Instrumente, um diese Perspektive stark zu machen, haben wir. Zum Teil sind diese – wie zum Beispiel die Absicherung freier Künstler und Publizisten in der Künstlersozialkasse – genau aus diesen Grundsätzen sozialdemokratischer Kulturpolitik heraus entstanden. Jedoch erwachsen daraus auch wesentliche Verpflichtungen für unsere Kulturpolitik. Beispielsweise muss das Urheberrecht an die Herausforderungen der digitalen Welt angepasst werden. Nur so kann es seiner Funktion entsprechen, geistiges Eigentum zu schützen, aber auch eine angemessene Vergütung für die Nutzung und Verwertung künstlerischer und kreativer Leistungen zu ermöglichen, also Einkommen für Künstler und Kreative.

Zudem müssen die sozialen Sicherungssysteme, die im Kern noch vom so genannten Normalarbeitsverhältnis ausgehen, an die besonderen Bedürfnisse von Künstlern und Kreativen angepasst werden. Gerade in diesem Bereich sind atypische Beschäftigungsverhältnisse zur Normalität geworden. Doch auch diese sollen im Fall von sozialen Risiken wie Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Pflege, Krankheit oder Rente so abgesichert sein, dass Künstlerinnen und Künstler ihrer Tätigkeit ungehindert nachgehen können.

Welche Kunst braucht Förderung?

Letztlich braucht es sicher auch eine intensive Debatte darüber, welcher Begriff von Kunst und Kultur überhaupt Grundlage der öffentlichen Förderung von Kunst und Kultur ist. Ob das Verstörende, das Kritische, das Innovative, das kulturell Vielfältige oder auch neue Formen der Kooperation von kulturellen Akteuren in der Fläche, wo es kaum noch bestehende Infrastrukturen im klassischen institutionellen Sinne gibt, die notwendige Unterstützung erfahren, ist für mich eine offene Frage.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich über die durch Wolfgang Thierse initiierte Debatte über die Grundsätze sozialdemokratischer Kulturpolitik und hoffe, dass wir sie nutzen, unsere eigenen Grundsätze und Maßstäbe entsprechend weiterzuentwickeln.