SPD-Bundestagsfraktion startet Projekt und legt Branchenbefragung vor

Rund 60 Medienexpertinnen und -experten aus ganz Deutschland trotzten am 6. November dem Bahnstreik und folgten einer Einladung der SPD-Fraktionssprecher für Kultur und Medien, Martin Dörmann, sowie für die Digitale Agenda, Lars Klingbeil, in den Deutschen Bundestag. Anlass war der Auftakt des Fraktionsprojekts zur „Reform der Medien- und Kommunikationsordnung“ in Deutschland.

Im Koalitionsvertrag von SPD und Union wird auf die Notwendigkeit einer Reform hingewiesen, die in Zusammenarbeit von Bund und Ländern in dieser Legislatur umgesetzt werden soll. Auch wenn es unter Fachleuten völlig unstrittig ist, dass die Digitalisierung und eine zunehmend über alle Verbreitungswege verschränkte Medienlandschaft (Medienkonvergenz) auch Fragen z. B. in den Bereichen der Aufsicht, der Telekommunikationsregulierung und des Wettbewerbsrechts aufwerfen, ist der Weg zu Lösungsansätzen eher am Anfang.

Im Frühjahr 2014 hatte die SPD-Fraktion daher fast hundert Branchenvertreter/innen mit einem umfangreichen Fragenkatalog um Stellungnahme gebeten. Über den Sommer ist so ein Konvolut von rund 500 Druckseiten Experten- und Praktikerwissen entstanden, das nun erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt wurde.

Da diese Stellungnahmen auch von rechtswissenschaftlicher Seite ausgewertet wurden, erwartete die versammelte Branche mit Spannung den Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg, der für die Rundfunkkommission der Bundesländer zusammen mit Prof Kluth ein Rechtsgutachten über Reformansätze einer Medien- und Kommunikationsordnung verfasst hat.

Professor Schulz skizzierte mit Blick für das Machbare sein wissenschaftliches Vorgehen, grenzte Themengebiete ein und erläuterte verschiedenste Ansätze für eine behutsame, aber umsetzbare Reform einzelner Rechtsbereiche. Er stellte dar, dass die konvergente Mediennutzung noch nicht so weit um sich gegriffen habe, wie viele vermuteten.

Zentraler Punkt war unter anderem eine graduelle Ablösung des Kernbegriffs der Linearität (im Rundfunkrecht), der angesichts der zunehmenden Verbreitung und Nachfrage nach personalisierten Onlineangeboten nicht mehr zukunftsfähig erscheint. Stattdessen empfahl er, stärkeren Wert auf qualitative Aspekte wie „Angebote mit besonderem Mehrwert für die öffentliche Kommunikation“ zu legen.

Auch das Wettbewerbsrecht müsse in das Zeitalter der Digitalisierung überführt werden. Neue Dienstleister im Online-Bereich wie etwa Google oder die sozialen Netzwerke bestimmten zudem immer stärker auch den gedruckten und gesendeten Medienmarkt, so dass auch hier über neue Ansätze nachgedacht werden müsse. Neue Kooperationen müssten ermöglicht, gleichzeitig aber auch Schutzmechanismen im Sinne der Vielfaltssicherung entwickelt werden.

Als Vertreter der Auftraggeber schloss Dr. Carsten Brosda, Medienbevollmächtigter des Landes Hamburg, seine Ausführungen an. Er begrüßte die behutsamen, aber substanziellen Veränderungsvorschläge der Gutachter und zeigte sich zuversichtlich, dass der Diskussionsprozess im Dezember von einer formalen Bund-Länder-Kommission vorangetrieben werden könne. Brosda betonte den Wert „regulatorischer Askese“ und möglichst zurückgenommener Detaillösungen, die der rasanten Marktdynamik ohnehin nur schwer gerecht werden können. Vielmehr müssten abstrakte Governance-Mechanismen oder Leitplanken entwickelt werden, die auch in einigen Jahren technischer Fortentwicklung noch belastbar seien. Für die Umsetzung der Vorschläge, die in einen Länder-Medienstaatsvertrag mit dem Bund münden könnten, veranschlagte er rund zwei bis drei Jahre.

In der anschließenden, sehr sachorientierten Debatte hatten Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Medienzweige die Gelegenheit, Rückfragen zu stellen und ihre Positionen hervorzuheben. Fragen nach europäischen Handlungsspielräumen, der scheinbar unbezwingbaren Marktmacht von Google und die veränderte Rolle von klassischem Rundfunk prägten die Debatte.

Saskia Esken, stellv. Sprecherin der AG Digitale Agenda bedankte sich bei allen Beteiligten für die Mitwirkung an der Diskussion und der Branchenbefragung. Martin Dörmann als Gastgeber resümierte nach zweieinhalb Stunden konzentrierter Diskussion: „Das Gutachten weist in die richtige Richtung und ist ein wichtiger Beitrag für eine strukturierte Debatte. Wir begrüßen den pragmatischen Ansatz der Länder, der vielversprechend erscheint, die Medienordnung behutsam in die Digitalzeit zu überführen.“

Dörmann unterstrich, dass die Veränderung der Medienwelt zwar große Herausforderungen mit sich bringe, jedoch gleichzeitig auch gewaltige gesellschaftliche und ökonomische Chancen ermögliche. Hier komme es darauf an, rechtzeitig und mit Blick für Vielfaltssicherung und Diskriminierungsfreiheit die Weichen für die Zukunft zu stellen. In dieser komplexen Debatte sei die SPD-Bundestagsfraktion bereit, im Rahmen des Projekts Medienordnung auch über die Themen des Gutachtens hinaus Input für eine neue Medienordnung zu liefern.

 

Die Antworten zur Branchenbefragung der SPD-Bundestagsfraktion und weitere Informationen finden sich hierÂ