Unter Federführung von Martin Dörmann hat die SPD-Bundestagsfraktion im Juni einen umfassenden netzpolitischen Antrag in den Bundestag eingebracht. Er hat den Titel „Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich regeln, Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen sichern und schnelles Internet für alle verwirklichen“ (Drucksache 17/13892). Leider hat sich die Koalitionsmehrheit erneut wirksamen Maßnahmen verweigert.
Nachfolgend dokumentieren wir Auszüge der Bundestagsrede von Martin Dörmann vom 13. Juni:

Für die SPD Bundestagsfraktion ist es ein zentrales wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Anliegen, die enor-men Chancen des Internets für alle zu sichern. Wir wollen gewährleisten, dass alle Menschen, Unternehmen und Regionen Zugang zu einer leistungsfähigen Breit-bandinfrastruktur und zu allen Inhalten haben. Einzelne Anbieter dürfen nicht diskriminiert werden und müssen gleichberechtigte Möglichkeiten haben, ihre Dienste und Anwendungen zu verbreiten. Es geht uns dabei um Teilhabe, die Sicherung von Meinungsvielfalt, fairen Wettbewerb und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Chancen.

Mit dem von uns vorgelegten und heute diskutierten Antrag verfolgen wir im wesentlichen drei Ziele: Erstens wollen wir die Prinzipien von Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich festschreiben. Zweitens wollen wir Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen sichern, auf die sich die Verbraucherinnen und Verbraucher berufen können. Und drittens wollen wir, dass schnelles Internet für alle endlich verwirklicht und der Breitbandausbau entschieden vorangetrieben wird. (…)

Die SPD-Bundestagsfraktion will die Gewährleistung von Netzneutralität als eines der Regulierungsziele im Tele-kommunikationsgesetz verbindlich regeln. Der Begriff soll im Sinne einer grundsätzlichen Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit bei der Durchleitung von Datenpaketen unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel definiert werden. In der Sache geht es darum, das Verlangsamen, Benachteiligen oder Blockieren von Inhalten, Diensten oder Anbietern ohne hinreichenden sachlichen Grund zu verhindern. Mobilfunk und Festnetz sind dabei in der Frage der Netzneutralität gleich zu behandeln, sofern nicht zwingende technische Gründe ein unterschiedliches Netzwerkmanagement rechtfertigen.

Ein intelligentes Netzwerkmanagement kann auch im Festnetzbereich im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sein und stellt nicht zwangsläufig einen materiellen Verstoß gegen Netzneutralität daher. Dies gilt allerdings nur, soweit es um das Ziel geht, die Funktions-fähigkeit der Netze zu sichern oder dafür zu sorgen, dass zeit- und qualitätskritische Dienste auch in Überlastungs-situationen in der erforderlichen Qualität bei den Endkunden ankommen. Beispielsweise wird heute bereits die IP-basierte Sprachtelefonie priorisiert, damit man ohne Störungen Telefonate über das Netz führen kann. Entscheidend ist jedoch, dass das so genannte „Best-Effort-Internet“ nicht zurückgedrängt werden darf. Dessen Kapazität muss auch in Zukunft wachsen und soll nicht von solchen Diensten ersetzt werden, die vom jeweiligen Infrastrukturanbieter präferiert werden. Verhindert werden muss auch, dass marktbeherrschende Unternehmen einzelne Anwendungen im Internet aus strategischen Gründen blockieren oder verzögern. Im Prinzip muss auch weiterhin jeder Inhalt frei im Netz verbreitet und abgerufen werden können.

Diese aus unserem Antrag zitierten Grundsätze sind für uns auch Leitlinien bei der Beurteilung des neuen Tarif-modells der Deutschen Telekom AG im Festnetzbereich, das gerade aktuell sehr kontrovers diskutiert wird. Vermutlich hätte die Telekom die Vorschläge in dieser Form gar nicht vorgelegt, wenn es hierzu bereits eine klarere gesetzliche Regelung geben würde. Obwohl sich formal fast jeder auf das Prinzip der Netzneutralität beruft, be-steht nämlich große Verunsicherung darüber, was darunter exakt zu verstehen ist – etwa im Hinblick auf die Frage, wo genau die Grenzen zwischen zulässigem Netzwerkmanagement und Tarifgestaltungsmöglichkeiten der Unternehmen einerseits und deren Begrenzung durch die Gebote der Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit andererseits verlaufen. Hier würde eine gesetzliche Rahmensetzung sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher als auch Unternehmen mehr Rechtsicherheit schaffen.

Klar ist, dass letztlich die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde darüber wachen muss, ob die gesetzlichen Regelungen im Einzelfall eingehalten werden. Sie muss aber klare Kriterien vorgegeben und auch die Möglichkeit haben, wirksam gegen Verstöße vorzugehen. Insoweit besteht eine Regelungslücke im Gesetz und in der Praxis, die es zu schließen gilt. Neben verbesserten Befugnissen, konkret einzuschreiten, wollen wir, dass die Bundesnetz-agentur einen jährlichen Bericht an den Deutschen Bundestag zum Stand der Netzneutralität in Deutschland erstellt. Nach unseren Vorstellungen sollen darin nicht nur festgestellte Verstöße gegen Netzneutralität aufgenommen werden, sondern auch Aussagen über die Qualität des Netzes und die Sicherung von „Best Effort“ und Mindestqualitäten. Dies würde die Unternehmen unter Zugzwang setzen, dafür zu sorgen, dass das Best-Effort-Internet erhalten und ausgebaut und nicht durch eine Vielzahl von „Managed Services“ ausgehöhlt wird. (…)

Wenn wir die Teilhabe von allen am Internet und dessen Potenzialen sichern wollen, dann geht es nicht nur um Netzneutralität und ein diskriminierungsfreies Netz. Die Menschen müssen erst einmal den Zugang zu schnellem Internet haben, um die dort verbreiteten Dienste und Informationen überhaupt abrufen zu können. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb seit langem dafür ein, schnelles Internet für alle endlich zu verwirklichen und den Breitbandausbau in Deutschland deutlich zu forcieren.

Auch bei der Breitbandversorgung bleibt die Bundesregierung weit hinter ihren eigenen Ankündigungen zurück. Alle in der Breitbandstrategie der Bundesregierung angelegten Ziele drohen zu scheitern. (…)

Zur Absicherung einer flächendeckenden Grundversorgung fordert die SPD bereits seit längerem, eine europarechtskonforme Universaldienstverpflichtung mit einer bestimmten Bandbreite in das Telekommunikationsgesetz aufzunehmen. Für uns stellt heute der Zugang zum schnellen Internet einen Teil der Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft dar, auf den die Menschen einen Anspruch haben. (…)

Von der Grundversorgung und einer entsprechenden Universaldienstverpflichtung zu unterscheiden sind die weitergehenden Ziele der Bundesregierung im Hinblick auf höhere Bandbreiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde, die mit anderen Mitteln umgesetzt werden müssen. Eine solche Bandbreite ermöglicht es, dass mehrere Teilnehmer in einem Haus anspruchsvollere Anwendungen wie insbesondere HD-TV und Video-Downloads nutzen können. Es ist davon auszugehen, dass der Bandbreitenbedarf pro Haushalt gerade durch verstärkte Nutzung solcher audiovisueller Dienste weiter deutlich steigen wird. Deshalb brauchen wir eine dynamische Entwicklung beim Breitbandausbau und zusätzliche Investitionen in Hochleistungsnetze, insbesondere in den Ausbau der Glasfasernetze. (…)

Was Hochleistungsnetze angeht, ist die Situation in Deutschland gespalten. In größeren Städten haben wir einen funktionierenden Infrastrukturwettbewerb von Kabelunternehmen und Festnetzbetreibern wie der Deutschen Telekom. Aufgrund dieser Situation werden die Telekom und andere Unternehmen demnächst V-DSL mit der neuen Vectoring-Technik aufrüsten, so dass dort entsprechende Bandbreiten verwirklicht werden können. Es ist damit zu rechnen, dass dann etwa zwei Drittel der Haushalte eine gute Versorgung mit hohen Bandbreiten haben werden. Ein Viertel bis ein Drittel der Haushalte werden jedoch von dieser Entwicklung abgehängt.

Deshalb müssen wir die politischen Rahmenbedingungen so setzen, dass bestehende Wirtschaftlichkeitslücken in der Fläche schrittweise geschlossen und zusätzliche Investitionsanreize gesetzt werden. Wir schlagen hierfür in unserem Antrag einen Maßnahmenmix vor. Synergieeffekte müssen noch konsequenter genutzt und Rechts- und Planungssicherheit durch eine innovations- und investitionsfreundliche Regulierung geschaffen werden. Auch eine effiziente Frequenznutzung und zusätzliche Möglichkeiten für mobiles Breitband können einen Beitrag leisten, wobei Mobilfunk eine wichtige Ergänzung des Angebots darstellt, den weiteren Festnetzausbau aber keineswegs ersetzt.

Notwendige zusätzliche private Investitionen könnten durch eine intelligente Förderpolitik stimuliert werden, die Mitnahmeeffekte vermeidet und den optimalen He-beleffekt für Unternehmensinvestitionen setzt. Bestandteil eines solchen Gesamtkonzeptes sollten aus unserer Sicht beispielsweise ein KfW-Sonderprogramm sowie „Breitbandfonds“ sein, in die sowohl institutionelle Anleger als auch Bürgerinnen und Bürger investieren können, um zusätzliche Gelder für den teuren Ausbau von Hochleistungsnetzen zu mobilisieren. (…)

Will man zum Abschluss dieser Legislaturperiode der Bundesregierung ein Zeugnis in Sachen Netzpolitik ausstellen, so kann man leider Folgendes konstatieren: beim Urheberrecht, dem Datenschutz und bei der Netzneutralität hat sie das Thema weitgehend verfehlt, die Ergebnisse beim Verbraucherschutz und beim Breitbandausbau sind mangelhaft. Trotz dieser schlechten Bilanz plädiere ich jedoch für die Versetzung des für Telekommunikation zuständigen Ministers Rösler – allerdings in den Ruhestand. Ein Nachsitzen in der nächsten Wahlperiode in derselben Position würde uns netzpolitisch nur noch weiter zurückwerfen. Denn: es geht nicht um schöne Ankündigungen, es geht um Taten!“