Bundestagsrede vom 27. Juni 2013

Martin Dörmanns Bundestagsrede zur Schlussberatung der von der Fraktion der SPD und der Linken eingebrachten Anträgen „Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich regeln, Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen sichern und schnelles Internet für alle verwirklichen“ (Drs. 17/13892) und „Netzneutralität gesetzlich festschreiben“ (Drs. 17/13466)

„Kluge Politik sollte vorhandene Defizite benennen und hierfür konkrete Lösungsvorschläge entwickeln. Genau hierum geht es der SPD-Bundestagsfraktion mit dem von uns vorgelegten Antrag zu den Themen Netzneutralität, Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen und Breitbandausbau. Diese Punkte sind für die Teilhabe aller Menschen an den Chancen des Internets von besonderer Bedeutung.

Welche Probleme gibt es und wie wollen wir sie lösen? Erstens: Netzneutralität. Es besteht verbal ein breiter politischer Konsens darin, dass wir Netzneutralität und die bewährte Best-Effort-Qualität des Internets bewahren und Diskriminierungen im Netz verhindern wollen. Gleichzeitig gibt es aber bereits große Unterschiede bei der Definition dieser Begriffe. Noch größer ist die Unsicherheit über die heutige Rechtslage, etwa darüber, welche Verpflichtungen Unternehmen haben und welche Befugnisse die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde hat, um die genannten Ziele wirksam umzusetzen. Dies wird insbesondere an der kontroversen Debatte um das neue Tarifmodell im Festnetzbereich der Deutschen Telekom deutlich.

Um diese Unklarheiten zu beseitigen, fordert die SPD-Bundestagsfraktion bereits seit langem eine gesetzliche Absicherung von Netzneutralität, Diskriminierungsfreiheit und Best-Effort-Qualität.  Hierzu haben wir in unserem Antrag weitreichende und konkrete Vorschläge unterbreitet. Sie reichen von einer gesetzlichen Definition von Netzneutralität über stärkere Kompetenzen der Bundesnetzagentur zu deren Durchsetzung bis hin zu deren Verpflichtung, einen jährlichen Bericht über Verstöße, die Qualität des Netzes und die Sicherung von Best-Effort vorzulegen.

Zweitens: Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen: Kürzlich hat eine von der Bundesnetzagentur in Auftrag gegebene Messtudie belegt, dass es eine erhebliche Diskrepanz zwischen den von den Internetprovidern vermarkteten Bandbreiten und den tatsächlich beim Endkunden ankommenden Bandbreiten gibt. Deshalb wollen wir die Unternehmen verpflichten, ihren Kunden eine Mindestbandbreite vertraglich zuzusichern. Umgekehrt sollen diese ein Sonderkündigungsrecht erhalten, wenn die Zusagen nicht eingehalten werden.

Drittens: Breitbandausbau. Hier gibt es weiterhin erhebliche Defizite in Deutschland. Alle von der Bundesregierung vorgegebenen Zielsetzungen drohen zu scheitern. Hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Bandbreiten gibt es riesige Versorgungsunterschiede zwischen städtischen und eher ländlichen Regionen, die sich zu vertiefen drohen. Und immer noch sind zahlreiche „weiße Flecken“ zu beklagen, in denen es nicht einmal eine angemessene Grundversorgung gibt. Hierzu hat die SPD-Bundestagsfraktion in den letzten Jahren umfassende Konzepte vorgelegt, die wir in unserem Antrag noch einmal zusammengefasst haben.

In der Plenardebatte zur Einbringung des Antrages am 13. Juni habe ich unsere Vorschläge bereits im Einzelnen erläutert. Das will ich an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen, um stattdessen auf einige aktuelle Entwicklungen der letzten 14 Tage eingehen.

Zum Thema Netzneutralität hat das Bundeswirtschaftsministerium zwischenzeitlich den Entwurf einer Rechtsverordnung nach § 41a Absatz 1 Telekommunikationsgesetz vorgelegt. Dies geschah offensichtlich auch für die Koalitionsfraktionen gänzlich überraschend. Noch vor zwei Wochen hat der Unionskollege Dr. Nüsslein keinen hinreichenden Grund dafür gesehen, eine solche Rechtsverordnung, ich zitiere, „jetzt Knall auf Fall rechtswirksam werden zu lassen.“ Und in der Tat: In Fachkreisen wird der unausgegorene Verordnungsentwurf nur kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Typische Kommentare, die man in Gesprächen immer wieder hört, sind „blanker Aktionismus“, „unter aller Kanone“ und „völlig daneben“. Es rächt sich nun, dass Minister Dr. Rösler die letzten Jahre völlig verschlafen hat. Unsere Diskussionen in der Enquete-Kommission sind leider weitgehend spurlos an ihm vorbei gegangen. Nicht ohne Grund haben fast 80.000 Menschen die aktuelle Online-Petition von Johannes Scheller unterzeichnet, die eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität fordert und die in dieser Woche im Petitionsausschuss beraten wurde.

Wie an anderer Stelle auch, versucht Schwarz-Gelb nun aufgrund des öffentlichen Drucks kurz vor Toresschluss eine zweifelhafte Symbolverordnung auf den Weg zu bringen, nur um ein paar Wahlkampfpunkte einzusammeln. Man kann allerdings konstatieren: Der Versuch ist kläglich gescheitert. So hat beispielsweise eine Anhörung im Unterausschuss Neue Medien zum Thema Netzneutralität in dieser Woche deutlich gemacht, dass der Verordnungsentwurf mehr Fragen aufwirft als Lösungen zu bieten. Niemandem ist etwa klar, ob der Verordnungsentwurf nun die Tarifpläne der Telekom konterkariert oder durchwinkt. Wann sollen „Managed Services“ nun erlaubt, wann verboten sein? Welche Kriterien sollen hierfür gelten? Wie definiert man die geforderte Best-Effort-Qualität des Internets – in einer Gesamtbetrachtung der Qualität aller Netze oder vom Endverbraucher her gesehen? Die Liste der Fragen ließe sich beliebig verlängern.

Doch nicht nur der widersprüchliche und unpräzise Inhalt der Rechtsverordnung ist zu kritisieren. Nein, das gesamte Verfahren ist höchst problematisch und entspricht nicht den parlamentarischen Anforderungen. Die Rechtsverordnung bedarf der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates. Die Bundesregierung hat in dieser Woche im federführenden Wirtschaftsausschuss mitgeteilt, dass am 14. August der Kabinettsbeschluss zur Rechtsverordnung gefasst werden soll. Die Vorlage soll dann Anfang September in der für die Haushaltsberatung geplanten Sondersitzung des Bundestages beschlossen sowie am 20. September durch den Bundesrat gepeitscht werden, also zwei Tage vor der Bundestagswahl. Und das bei einer Thematik, die unbestreitbar hochkomplex und von erheblichen Auswirkungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für die Marktentwicklung sein wird.

Nicht einmal eine ordentliche Anhörung war in den bisherigen Zeitplänen der Bundesregierung vorgesehen. Immerhin hat nun der Wirtschaftsausschuss auf Antrag der SPD-Fraktion vorsorglich beschlossen, Ende August noch eine Anhörung durchzuführen, sollte es bei den Zeitplänen der Bundesregierung bleiben. Ich möchte aber betonen, dass dies lediglich eine reine Notmaßnahme wäre, keinesfalls jedoch ein insgesamt angemessenes parlamentarisches Verfahren. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, von ihren völlig unzureichenden Plänen Abstand zu nehmen. Stattdessen sollte der neu gewählte Bundestag die Möglichkeit erhalten, unter einer rot-grünen Regierung sorgfältig zu beraten und eine angemessene gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen.

Wegen der besonderen Tragweite einer möglichen Regelung bis hin zu denkbaren Eingriffen in Eigentumsrechte spricht nicht nur sachlich sondern auch verfassungsrechtlich alles für ein Gesetz. So ist sehr zweifelhaft, ob § 41a Telekommunikationsgesetz überhaupt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die von der Bundesregierung geplanten Verordnung darstellt. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen aktuellen Bericht der Bundesnetzagentur vom 14. Juni 2013 zur Tarifänderung der Deutschen Telekom AG für Internetzugänge hinweisen. Dort ist dargelegt, dass es bislang keine gesetzliche Verpflichtung zur Netzneutralität gibt. Auch besteht, so die Bundesnetzagentur, bislang keine gesetzlich normierte symmetrische Pflicht zur Gleichbehandlung, da das Diskriminierungsverbot wettbewerbsrechtlich nur für marktmächtige Unternehmen gilt. Zudem stellt der Bericht fest, dass es bezüglich der Begrifflichkeit von Netzneutralität ganz unterschiedliche Ansätze gibt. Allein diese Punkte sollten deutlich machen, dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf, um für alle Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen.

Ich möchte schließlich noch auf das Thema Breitbandausbau zu sprechen kommen, das für uns ebenfalls von herausragender Bedeutung ist. Es geht uns darum, allen Menschen und Regionen durch eine gute Breitbandversorgung die Möglichkeit zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe zu sichern. Keine einzige Entscheidung und Maßnahme dieser Bundesregierung hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die digitale Spaltung in Deutschland zu überwinden und die notwendigen zusätzlichen Investitionen von Unternehmen in den Breitbandausbau anzuregen. Dort, wo es Fortschritte gibt, sind diese nicht auf diese Bundesregierung zurückzuführen. So wurde der LTE-Ausbau nur durch diesbezügliche Frequenzbeschlüsse der Vorgängerregierung möglich. Und die Breitbandinvestitionen von Unternehmen in städtischen Gebieten resultieren aus dem Infrastrukturwettbewerb zwischen Kabelunternehmen und Festnetzbetreibern.

Das drängendste Problem sind aber weiterhin bestehende Versorgungslücken in der Fläche hinsichtlich einer angemessenen Grundversorgung sowie große Wirtschaftlichkeitslücken bei Hochleistungsnetzen in weniger dicht besiedelten Regionen. Hier drohen mindestens ein Viertel aller deutschen Haushalte nachhaltig von hohen Bandbreiten abgeschnitten zu bleiben. So konstatierte Spiegel Online Ende letzter Woche in einem längeren Artikel unter der  Überschrift „Zukunftsbremse langsames Internet: Die Schmalband-Republik“, das Versprechen der Bundesregierung, 75 Prozent der Haushalte bis 2014 mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu versorgen, sei nicht zu halten. Die Behauptung der Merkel-Regierung, es gebe ausreichend Breitband, sei „Augenwischerei“, bei den tatsächlich gemessenen Bandbreiten stehe Deutschland schlecht da und sei nur Mittelmaß. Der Artikel schließt mit der Feststellung: „Die entscheidende Frage, um die sich die Regierung bisher drückt: Ist Breitband-Internet ein öffentliches Gut, gehört es zur Daseinsvorsorge? Wenn das so ist, muss der Bund mehr tun.“ Soweit das Zitat von Spiegel Online.

Wir meinen: Ja, schnelles Internet gehört für uns zur Daseinsvorsorge, weshalb wir die Grundversorgung durch eine gesetzliche Universaldienstverpflichtung absichern wollen. Darüber hinaus wollen wir den flächendeckenden Ausbau von Hochleistungsnetzen auch in der Fläche vorantreiben, und zwar durch wettbewerbliche Lösungen, die von staatlicher Seite durch die richtigen Rahmenbedingungen und intelligente Fördermaßnahmen unterstützt werden müssen. Das Mittelmaß der Merkel-Regierung darf jedenfalls kein Maßstab für die Breitbandversorgung sein.

Nun verweisen die Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen immer wieder gerne auf aus ihrer Sicht positive Zahlen im Breitbandatlas, was etwa die Versorgung mit Bandbreiten von 1 MBit/s betrifft. Abgesehen davon, dass es heute eigentlich Konsens sein sollte, dass eine solche Geschwindigkeit heute nicht einmal mehr der unterste Standard sein sollte – selbst die Telekom will übrigens gedrosselten Kunden inzwischen mindestens 2 MBit/s anbieten – der Breitbandatlas ist viel zu unpräzise, als dass er ernsthaft als Versorgungsnachweis taugt. Er beruht auf freiwilligen, nicht überprüften Unternehmensangaben und basiert dabei in erster Linie auf den berühmten „bis zu“-Angaben der Unternehmen. Die bereits zitierte Messstudie hat aber eindeutig belegt, dass solche vermarkteten Bandbreiten meistens nicht der Realität entsprechen.

Vor diesem Hintergrund hat der Beirat der Bundesnetzagentur in seiner jüngsten Sitzung Anfang dieser Woche einvernehmlich folgenden Beschluss gefasst: „Der Beirat bittet die Bundesnetzagentur um Stellungnahme erstens zur Aussagekraft des Breitbandatlas vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Messestudie und zweitens zur Frage, wie nach einer umfassenden Evaluierung des Breitbandatlas eine präzisere Darstellung der tatsächlichen Versorgungslage erreicht werden kann.“ Soweit das Zitat.

Auch was die Datenlage angeht, gilt also für die Politik der Bundesregierung: Mehr Schein als Sein! Es wird Zeit für einen Wechsel, um die wirtschaftlichen Chancen des Internets zu nutzen und die Teilhabemöglichkeit aller Menschen und Regionen zu sichern.“