Bundestagsrede vom 13. Juni 2013

In seiner Rede begründete Martin Dörmann den von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Bundestagsantrag “Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit regeln, Mindestqualität bei Breitbandverträgen sichern und schnelles Internet für alle verwirklichen” (Drucksache 17/13892).

Für die SPD Bundestagsfraktion ist es ein zentrales wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Anliegen, die enormen Chancen des Internets für alle zu sichern. Wir wollen gewährleisten, dass alle Menschen, Unternehmen und Regionen Zugang zu einer leistungsfähigen Breitbandinfrastruktur und zu allen Inhalten haben. Einzelne Anbieter dürfen nicht diskriminiert werden und müssen gleichberechtigte Möglichkeiten haben, ihre Dienste und Anwendungen zu verbreiten. Es geht uns dabei um Teilhabe, die Sicherung von Meinungsvielfalt, fairen Wettbewerb und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Chancen.

Mit dem von uns vorgelegten und heute diskutierten Antrag verfolgen wir im wesentlichen drei Ziele: Erstens wollen wir die Prinzipien von Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich festschreiben. Zweitens wollen wir Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen sichern, auf die sich die Verbraucherinnen und Verbraucher berufen können. Und drittens wollen wir, dass schnelles Internet für alle endlich verwirklicht und der Breitbandausbau entschieden vorangetrieben wird.

Entsprechende Vorschläge haben wir bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes im Jahr 2011 in den Bundestag eingebracht. Leider hat sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition hartnäckig geweigert, unsere Vorschläge in das TKG mit aufzunehmen. Stattdessen hat man sich weitgehend darauf beschränkt, europäische Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.

Dies zeigt sich in besonderer Weise beim Thema Netzneutralität. Statt Netzneutralität gesetzlich zu definieren und wirksam abzusichern hat sich die Koalition nur darauf verständigen können, die abstrakte Möglichkeit einer Rechtsverordnung durch das Bundeswirtschaftsministerium zu schaffen. Umgesetzt wurde eine solche aber gerade nicht!  Insbesondere die aktuelle Debatte um ein neues Tarifmodell bei der Deutschen Telekom AG zeigt, wie falsch es war, auf eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität und konkretere Befugnisse für die Bundesnetzagentur zu verzichten.

Die SPD-Bundestagsfraktion will die Gewährleistung von Netzneutralität als eines der Regulierungsziele im Telekommunikationsgesetz verbindlich regeln. Der Begriff soll im Sinne einer grundsätzlichen Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit bei der Durchleitung von Datenpaketen unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel definiert werden. In der Sache geht es darum, das Verlangsamen, Benachteiligen oder Blockieren von Inhalten, Diensten oder Anbietern ohne hinreichenden sachlichen Grund zu verhindern. Mobilfunk und Festnetz sind dabei in der Frage der Netzneutralität gleich zu behandeln, sofern nicht zwingende technische Gründe ein unterschiedliches Netzwerkmanagement rechtfertigen.

Ein intelligentes Netzwerkmanagement kann auch im Festnetzbereich im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sein und stellt nicht zwangsläufig einen materiellen Verstoß gegen Netzneutralität daher. Dies gilt allerdings nur, soweit es um das Ziel geht, die Funktionsfähigkeit der Netze zu sichern oder dafür zu sorgen, dass zeit- und qualitätskritische Dienste auch in Überlastungssituationen in der erforderlichen Qualität bei den Endkunden ankommen. Beispielsweise wird heute bereits die IP-basierte Sprachtelefonie priorisiert, damit man ohne Störungen Telefonate über das Netz führen kann. Entscheidend ist jedoch, dass das so genannte „Best-Effort-Internet“ nicht zurückgedrängt werden darf. Dessen Kapazität muss auch in Zukunft wachsen und soll nicht von solchen Diensten ersetzt werden, die vom jeweiligen Infrastrukturanbieter präferiert werden. Verhindert werden muss auch, dass marktbeherrschende Unternehmen einzelne Anwendungen im Internet aus strategischen Gründen blockieren oder verzögern. Im Prinzip muss auch weiterhin jeder Inhalt frei im Netz verbreitet und abgerufen werden können.

Diese aus unserem Antrag zitierten Grundsätze sind für uns auch Leitlinien bei der Beurteilung des neuen Tarifmodells der Deutschen Telekom AG im Festnetzbereich, das gerade aktuell sehr kontrovers diskutiert wird. Vermutlich hätte die Telekom die Vorschläge in dieser Form gar nicht vorgelegt, wenn es hierzu bereits eine klarere gesetzliche Regelung geben würde. Obwohl sich formal fast jeder auf das Prinzip der Netzneutralität beruft, besteht nämlich große Verunsicherung darüber, was darunter exakt zu verstehen ist – etwa im Hinblick auf die Frage, wo genau die Grenzen zwischen zulässigem Netzwerkmanagement und Tarifgestaltungsmöglichkeiten der Unternehmen einerseits und deren Begrenzung durch die Gebote der Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit andererseits verlaufen. Hier würde eine gesetzliche Rahmensetzung sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher als auch Unternehmen mehr Rechtsicherheit schaffen.

Klar ist, dass letztlich die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde darüber wachen muss, ob die gesetzlichen Regelungen im Einzelfall eingehalten werden. Sie muss aber klare Kriterien vorgegeben und auch die Möglichkeit haben, wirksam gegen Verstöße vorzugehen. Insoweit besteht eine Regelungslücke im Gesetz und in der Praxis, die es zu schließen gilt. Neben verbesserten Befugnissen, konkret einzuschreiten, wollen wir, dass die Bundesnetzagentur einen jährlichen Bericht an den Deutschen Bundestag zum Stand der Netzneutralität in Deutschland erstellt. Nach unseren Vorstellungen sollen darin nicht nur festgestellte Verstöße gegen Netzneutralität aufgenommen werden, sondern auch Aussagen über die Qualität des Netzes und die Sicherung von „Best Effort“ und Mindestqualitäten. Dies würde die Unternehmen unter Zugzwang setzen, dafür zu sorgen, dass das Best-Effort-Internet erhalten und ausgebaut und nicht durch eine Vielzahl von „Managed Services“ ausgehöhlt wird.

Lassen Sie mich zur aktuellen Telekom-Debatte noch Folgendes anmerken: Ich halte es unter Verbraucherschutzaspekten bereits für bedenklich, in welcher Form dieser neue Tarif nun eingeführt wird. Wer heute einen entsprechenden Vertrag abschließt, weiß noch gar nicht genau, wie die Konditionen dann im Jahr 2016 oder 2017 aussehen werden, wenn diese Regelungen faktisch greifen, weil die technischen Voraussetzungen bis dahin erfüllt sein werden. Erst gestern hat die Telekom die Bandbreite, auf die ab 2016 bei Überschreitung eines gebuchten Volumens „gedrosselt“ werden kann, von lahmen 384 Kilobit auf 2 Megabit pro Sekunde angehoben. Es ist also aufgrund der Verbraucherproteste einiges im Fluss.

Auch sind eine Vielzahl von Fragen offen, die für die Beurteilung relevant sind, ob und inwieweit durch das neue Modell der „Managed Services“ Verletzungen der Netzneutralität oder Beeinträchtigungen des Wettbewerbs vorliegen. Hier ist die Telekom aufgefordert, möglichst schnell für weitere Transparenz und Klärung der Ausgestaltung zu sorgen. Und die Bundesnetzagentur muss endlich von ihren Befugnissen Gebrauch machen, durch eine Technische Richtlinie Mindestqualitäten zu sichern.

Auch insoweit könnte die von uns vorgeschlagene gesetzliche Regelung zu einer schnelleren Präzisierung und zum zusätzlichen Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern beitragen. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang unseren Vorschlag, dass Unternehmen verpflichtet werden sollen, ihren Kunden eine bestimmte Mindestbandbreite zuzusichern. Sollte diese nicht erreicht werden, wollen wir den Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen. Dieser Punkt geht den leider verbreiteten Missstand an, dass heute oftmals im Markt hohe Bandbreiten, beispielsweise mit der Anpreisung „bis zu 16 Megabit pro Sekunde“, beworben werden, die dann vielfach in Wirklichkeit nicht erreicht werden.

Diese Problematik wurde durch eine kürzlich von der Bundesnetzagentur vorgelegte Studie zur „Dienstequalität von Breitbandzugängen“ dokumentiert, die erhebliche Diskrepanzen zwischen vermarkteter und tatsächlich erreichter Bandbreite belegt hat. Auch diesen Vorschlag hatten wir bereits bei der Novellierung des TKG eingebracht, ohne dass er von der schwarz-gelben Mehrheit aufgegriffen wurde.

Wenn wir die Teilhabe von allen am Internet und dessen Potenzialen sichern wollen, dann geht es nicht nur um Netzneutralität und ein diskriminierungsfreies Netz. Die Menschen müssen erst einmal den Zugang zu schnellem Internet haben, um die dort verbreiteten Dienste und Informationen überhaupt abrufen zu können. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb seit langem dafür ein, schnelles Internet für alle endlich zu verwirklichen und den Breitbandausbau in Deutschland deutlich zu forcieren.

Auch bei der Breitbandversorgung bleibt die Bundesregierung weit hinter ihren eigenen Ankündigungen zurück. Alle in der Breitbandstrategie der Bundesregierung angelegten Ziele drohen zu scheitern. Gerissen wurde bereits das Ziel, bis Ende 2010 eine Versorgung mit ein Megabit pro Sekunde flächendeckend umzusetzen. Zwar wurden durch den LTE-Ausbau erhebliche Fortschritte gemacht. Das ist allerdings nicht dieser Bundesregierung zuzuschreiben, sondern den entsprechenden Frequenzbeschlüssen, die noch in der Großen Koalition auf den Weg gebracht wurden. Zudem muss man heute im Hinblick auf die weitere technische Entwicklung konstatieren, dass eine Bandbreite von ein Megabit pro Sekunde zu kurz gegriffen ist. Allgemein anerkannt ist nach heutigem Stand der Technik, dass eine flächendeckende Grundversorgung von mindestens 2 Megabit pro Sekunde sinnvoll ist, um die heute mehrheitlich genutzten Dienste in angemessener Qualität empfangen zu können. Insoweit bestehen heute noch „weiße Flecken“, die nun schnell verbindlich geschlossen werden müssen.

Die Lücke ist übrigens größer als es die Zahlen des sehr ungenauen Breitbandatlasses ausweisen, der auf freiwilligen, nicht überprüften Angaben der Unternehmen beruht.

Zur Absicherung einer flächendeckenden Grundversorgung fordert die SPD bereits seit längerem, eine europarechtskonforme Universaldienstverpflichtung mit einer bestimmten Bandbreite in das Telekommunikationsgesetz aufzunehmen. Für uns stellt heute der Zugang zum schnellen Internet einen Teil der Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft dar, auf den die Menschen einen Anspruch haben. Mit der von uns vorgeschlagenen Regelung sind zudem Wettbewerbsverzerrungen oder unverhältnismäßige Bürokratie nicht zu befürchten. Es ist jetzt höchste Zeit, dass die Menschen in allen Regionen schnelles Internet nutzen können.

Von der Grundversorgung und einer entsprechenden Universaldienstverpflichtung zu unterscheiden sind die weitergehenden Ziele der Bundesregierung im Hinblick auf höhere Bandbreiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde, die mit anderen Mitteln umgesetzt werden müssen. Eine solche Bandbreite ermöglicht es, dass mehrere Teilnehmer in einem Haus anspruchsvollere Anwendungen wie insbesondere HD-TV und Video-Downloads nutzen können. Es ist davon auszugehen, dass der Bandbreitenbedarf pro Haushalt gerade durch verstärkte Nutzung solcher audiovisueller Dienste weiter deutlich steigen wird.

Deshalb brauchen wir eine dynamische Entwicklung beim Breitbandausbau und zusätzliche Investitionen in Hochleistungsnetze, insbesondere in den Ausbau der Glasfasernetze. Auch bezüglich dieser Zielsetzung droht die Bundesregierung bei ihren Vorgaben zu scheitern. Der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebene Zweite Monitoringbericht zur Breitbandstrategie hat ausdrücklich festgehalten, dass das Ziel, bis Ende 2014 zumindest 75 % der Haushalte mit einer entsprechenden Bandbreite zu versorgen, ohne zusätzliche Maßnahmen kaum zu schaffen sein wird. Dies gilt erst Recht für das weitergehende flächendeckende Ausbauziel bis Ende 2018, wie auch der soeben vorgelegte Dritte Monitoringbericht belegt. Gerade diese zusätzlichen Maßnahmen bleibt die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern schuldig.

Was Hochleistungsnetze angeht, ist die Situation in Deutschland gespalten. In größeren Städten haben wir einen funktionierenden Infrastrukturwettbewerb von Kabelunternehmen und Festnetzbetreibern wie der Deutschen Telekom. Aufgrund dieser Situation werden die Telekom und andere Unternehmen demnächst V-DSL mit der neuen Vectoring-Technik aufrüsten, so dass dort entsprechende Bandbreiten verwirklicht werden können. Es ist damit zu rechnen, dass dann etwa zwei Drittel der Haushalte eine gute Versorgung mit hohen Bandbreiten haben werden. Ein Viertel bis ein Drittel der Haushalte werden jedoch von dieser Entwicklung abgehängt.

Deshalb müssen wir die politischen Rahmenbedingungen so setzen, dass bestehende Wirtschaftlichkeitslücken in der Fläche schrittweise geschlossen und zusätzliche Investitionsanreize gesetzt werden. Wir schlagen hierfür in unserem Antrag einen Maßnahmenmix vor. Synergieeffekte müssen noch konsequenter genutzt und Rechts- und Planungssicherheit durch eine innovations- und investitionsfreundliche Regulierung geschaffen werden. Auch eine effiziente Frequenznutzung und zusätzliche Möglichkeiten für mobiles Breitband können einen Beitrag leisten, wobei Mobilfunk eine wichtige Ergänzung des Angebots darstellt, den weiteren Festnetzausbau aber keineswegs ersetzt.

Notwendige zusätzliche private Investitionen könnten durch eine intelligente Förderpolitik stimuliert werden, die Mitnahmeeffekte vermeidet und den optimalen Hebeleffekt für Unternehmensinvestitionen setzt. Bestandteil eines solchen Gesamtkonzeptes sollten aus unserer Sicht beispielsweise ein KfW-Sonderprogramm sowie „Breitbandfonds“ sein, in die sowohl institutionelle Anleger als auch Bürgerinnen und Bürger investieren können, um zusätzliche Gelder für den teuren Ausbau von Hochleistungsnetzen zu mobilisieren. Denkbar wäre beispielsweise ein Modell, das Einzahlungen mit einem Aufschlag über den derzeitigen Sparzinsen verzinst. Ich freue mich, dass Mitgliedsunternehmen des Branchenverbandes BREKO einen Investitionsfonds planen, der ebenfalls zusätzliches Kapital generieren soll. Nur mit solchen Initiativen und dem von uns vorgeschlagenen Maßnahmenmix werden wir eine dauerhafte regionale Spaltung verhindern – nicht jedoch durch die weitgehende Beobachterrolle der Bundesregierung.

Will man zum Abschluss dieser Legislaturperiode der Bundesregierung ein Zeugnis in Sachen Netzpolitik ausstellen, so kann man leider Folgendes konstatieren: beim Urheberrecht, dem Datenschutz und bei der Netzneutralität hat sie das Thema weitgehend verfehlt, die Ergebnisse beim Verbraucherschutz und beim Breitbandausbau sind mangelhaft. Trotz dieser schlechten Bilanz plädiere ich jedoch für die Versetzung des für Telekommunikation zuständigen Ministers Rösler – allerdings in den Ruhestand. Ein Nachsitzen in der nächsten Wahlperiode in derselben Position würde uns netzpolitisch nur noch weiter zurückwerfen. Denn: es geht nicht um schöne Ankündigungen, es geht um Taten!