Zur Abstimmung im Bundestag über den Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt

Standpunkt aus Berlin Depesche Sonderausgabe Nr.14

Liebe Leserinnen und Leser,

Bundestag und Bundesrat haben jeweils mit deutlich mehr als einer Zweidrittelmehrheit die Umsetzungsgesetze zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und zum Fiskalpakt beschlossen.

Auch ich habe zugestimmt. Das ist mir nicht leicht gefallen. Mit dem ESM übernimmt Deutschland zusätzliche Haftungsrisiken in dreistelliger Milliardenhöhe. Zusammen mit den deutschen Anteilen an der ESFS und den ausgezahlten bilateralen Hilfen für Griechenland beläuft sich der deutsche Anteil an der finanziellen „Brandschutzmauer“ nunmehr auf ein Volumen von rund 310 Milliarden Euro.

Das ist eine gewaltige Summe. Als Abgeordneter stelle ich mir die Frage, ob ein solches Risiko überhaupt vertretbar sein kann.

Mit dem ESM sollen zahlungsunfähige Mitgliedstaaten der Eurozone mit Krediten der Gemeinschaft der Euro-Staaten unterstützt werden – unter Einhaltung wirtschaftspolitischer Auflagen. Der Fiskalpakt soll Ausgabendisziplin sicherstellen und sieht hierfür eine von den nationalen Gesetzgebern umzusetzende Schuldenbegrenzung in den Vertragsstaaten vor, ähnlich der Schuldenbremse in unserem Grundgesetz. So soll verhindert werden, dass einzelne Staaten sich auf die Solidarität der anderen verlassen, ohne selbst solide zu haushalten.

Ergänzt werden ESM und Fiskalpakt nach den Beschlüssen des Europäischen Rates durch einen „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“. Darin wurden zentrale Forderungen des Gemeinsamen Papieres aufgenommen, das SPD und Bündnis 90/Die Grünen in intensiven Verhandlungen mit der Bundesregierung als Voraussetzung für unsere Zustimmung zu den Umsetzungsgesetzen durchgesetzt hatten.

Damit können jetzt erstmals wichtige Wachstumsimpulse und eine Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten zu Überwindung der Krise umgesetzt werden. Hervorzuheben sind dabei

–     dass für die Finanztransaktionssteuer die Einleitung eines Verfahrens zur Verstärkten Zusammenarbeit mit einem Abschluss bis Dezember 2012 konkret benannt wurde,

–     dass zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit jeder bzw. jedem Jugendlichen in kurzer Frist eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle angeboten werden soll, unter Bereitstellung von Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) für befristete Lohnzuschüsse,

–     und dass über eine finanzielle Stärkung der Europäischen Investitionsbank (EIB), eine Initiative für Projektanleihen sowie eine Ausrichtung des nächsten EU-Haushaltes auf Wachstum und Beschäftigung zusätzliche Investitionen ermöglicht werden.

Zur Überwindung der Schuldenkrisesind neben Strukturreformen in einzelnen Ländern und einer Konsolidierung der Haushalte Wachstumsimpulse notwendig, um nicht in einen Teufelskreis zu geraten.

Einen perfekten Königsweg gibt es nicht.Und sicherlich sind auf der Strecke die demokratischen Beteiligungsrechte der Parlamente zu wahren und schwierige verfassungsrechtliche Fragestellungen zu klären – im Zweifel über das Bundesverfassungsgericht. Schließlich betreten wir absolutes Neuland.

DieAlternativenerscheinen jedoch aus heutiger Sicht als das größere Übel. Ein Auseinanderbrechen des Euro und eine Wiedereinführung der nationalen Währungen brächtenunkalkulierbare Risiken mit sich, die noch weniger zu verantworten wären. Eine stark aufgewertete D-Mark und eine tiefe politische und wirtschaftliche Krise in Europa würde Deutschland als führende Exportnation besonders treffen und unweigerlich zu einer dramatisch anwachsenden Arbeitslosigkeit führen. Eine Renationalisierung würde zudem das politische Projekt Europa um Jahrzehnte zurück werfen.

Insofern haben wir als Abgeordnete nur die Wahl zwischen unterschiedlichgroßen Risiken. Ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung nannte sie „schlimm“ (ESM-Haftung) oder „katastrophal“ (Euro-Scheitern).Es gibt schönere Alternativen.Â