Rede von Martin Dörmann  im Deutschen Bundestag am 26. April 2012 zum Antrag der Fraktionen Bündnis 90/DIE GRÜNEN:

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den letzten Monaten haben wir im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsschirmen so oft über Europa diskutiert, wie wohl kaum jemals zuvor. Von fast allen Fraktionen wurde dabei nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung der europäischen Union hervorgehoben, sondern auch die gemeinsamen Werte und politischen Zielsetzungen betont. In der Tat: Die EU ist eine Wertegemeinschaft, die wir stärken und erhalten müssen. Wenn dies aber so ist, dann müssen wir gemeinsam konsequent dafür eintreten, dass diese Werte und die darauf bezogenen Normen der Verträge von allen Mitgliedsstaaten  eingehalten werden.

Bei unserer heutigen Debatte geht es um die Stärkung der Pressefreiheit und Medienvielfalt in Europa. Die SPD-Bundestagsfraktion teilt nachdrücklich die entsprechende Zielsetzung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dabei geht es vordringlich um das ungarische Mediengesetz, das gerade diese Pressefreiheit und Medienvielfalt in Ungarn fundamental in Zweifel zieht. Hierzu hatte die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit den Grünen bereits frühzeitig einen umfassenden Bundestagsantrag eingebracht, der leider auch damals keine Zustimmung bei den Koalitionsfraktionen gefunden hat.

Ich halte es für in keiner Weise nachvollziehbar und geradezu skandalös, dass insbesondere die Medienpolitiker der Unionsfraktion im Hinblick auf das ungarische Mediengesetz eine beschwichtigende Haltung einnehmen, die an den Auswirkungen des Gesetzes völlig vorbeigeht. So wird ausweislich des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien von der Union vorgetragen, das oft kritisierte Ausgewogenheitsgebot im ungarischen Mediengesetz, das der dortige Medienrat zu überwachen habe, spiele in der Praxis keine Rolle. Bisher sei nur ein einziger Fall vorgekommen, der sich noch dazu als Kritik an einer zu positiven Berichterstattung über die Regierung entzündet habe. Sämtliche Befürchtungen entbehrten demnach einer realen Grundlage. Soweit die Position der Medienpolitiker der Union.

Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat von Andreas Weiss, dem früheren Koordinator Internationales bei der ARD entgegen halten. Der Ausschuss für Kultur und Medien hatte im Juli letzten Jahres ein öffentliches Expertengespräch zur Gefährdung der internationalen Pressefreiheit durchgeführt. Dabei ging es auch um die Auswirkungen des ungarischen Mediengesetzes. Andreas Weiss hat hierzu ausgeführt:

„Es herrscht dort bereits ein Klima der Einschüchterung. Das bedeutet, unsere Korrespondenten finden immer weniger Bereitschaft, dass Menschen vor ausländischen Medien aussagen. Die sonst hilfreichen Kollegen in den Medien selber unterwerfen sich der Selbstzensur, auch amtliche Stellen verweigern jetzt zunehmend die Zusammenarbeit. Früher war das kein Problem, aber jetzt sichern sich alle nach oben ab, bis auf die Ebene von Ministerpräsident Orban.“

Und weiter führte Andreas Weiss aus:

„Das ist einfach nicht mehr würdig einer normalen demokratischen Medienverfasstheit. Da kann man von Freiheit nicht mehr sprechen. Ich finde es sogar äußerst bedrückend, wenn sich Angst in einem EU-Mitgliedsland so breit macht, dass man sich nicht mehr traut, sich in die Öffentlichkeit zu begeben.“

Andreas Weiss wies darauf hin, dass Deutschland und die Europäische Union zu der mit dem ungarischen Mediengesetz einhergehenden möglichen Kontrolle und Beschränkung der Presse, Meinungs- und Informationsfreiheit in Ungarn nicht schweigen dürften. Ansonsten würden sie in Zukunft jegliches Recht verspielen, Missstände außerhalb der Staatengemeinschaft aufzuzeigen und glaubhaft zu kritisieren.

Genau dies ist das Anliegen der SPD-Fraktion: Wir wollen, dass es über unsere gemeinsamen Werte Pressefreiheit und Medienvielfalt eine breite öffentliche Debatte in Europa gibt, damit die Regierungen der einzelnen EU-Mitgliedsländer sowie die Europäische Kommission konsequenter und nachhaltiger tätig werden als in der Vergangenheit. Wir sind der Auffassung, dass das ungarische Mediengesetz gegen Artikel 11 der Grundrechtecharta verstößt. Die Kommission als Hüterin der Verträge müsste hier noch entschiedener als bisher vorgehen. Insoweit ist es zu bedauern, dass die von der EU-Kommission in den letzten Tagen angekündigte Klage gegen Ungarn wegen Verletzung der EU-Verträge vor dem Europäischen Gerichtshof sich auf andere Vertragsverstöße beschränkt und das ungarische Mediengesetz nicht ebenfalls mit angreift. Um so notwendiger ist die breite Diskussion hierüber, auch im Bundestag.

Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel benennen, an dem die subtile Vorgehensweise der ungarischen Regierung Orban deutlich wird. Wir sollten uns zunächst vor Augen halten, dass rund 80 % der ungarischen Medien als regierungsnah einzuschätzen sind. Es gibt nur wenige kritische Stimmen. Dazu zählt der unabhängige private Radiosender „Klubradio“, der ein traditionelles Profil als populärster Talkradiosender in Ungarn hat. Nun wurde seitens der neuen ungarischen Medienbehörde ein Anfang dieses Jahres anstehendes Bieterverfahren zur Neuausschreibung der entsprechenden Frequenzen so gestaltet, dass der Sender nicht zum Zuge kam, sondern ein anderer völlig unbekannter Sender. Wie hat man das angestellt? Nun ganz einfach: Man hat einfach die Ausschreibungsbedingungen so festgelegt, dass sie mit dem bisherigen Profil des Radiosenders „Klubradio“ nicht in Einklang zu bringen waren, indem man einen Musikanteil von 60 % festgeschrieben hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie tatsächlich solchen Praktiken tatenlos zusehen wollen oder mit uns gemeinsam die europäischen Werte hochhalten.

Es geht hierbei nicht um politische Entscheidungen des deutschen Parlamentes über innere Angelegenheiten Ungarns. Es geht um das Verteidigen der gemeinsamen Werte der Europäischen Union, sei es in Ungarn, Italien, Frankreich oder Deutschland. Es geht um Pressefreiheit und Medienvielfalt als Grundlage einer funktionsfähigen Demokratie. Das ungarische Volk ist der EU ja gerade aus diesen Gründen beigetreten. Es darf nicht sein, dass eine konservative ungarische Regierung, die aus anderen Gründen eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament errungen hat, diese zu einer Machtzementierung missbrauchen darf. Sie hat eine Medienkontrollbehörde einseitig mit lauter Parteigängern und diese für eine überlange Amtszeit von 9 Jahren eingesetzt, um kritische Stimmen einzuschüchtern und kleinzuhalten.

Lassen Sie uns unsere Stimme für das ungarische Volk und für eine lebendige Demokratie erheben.