Bundestagsrede von Martin Dörmann in der Plenardebatte am 22. März 2012

Sehr geehrte(r) Herr Präsident/Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Vielfaltsicherung in unserer Medienlandschaft ist ein wesentliches Element zur Stärkung unserer Demokratie. Ein zentraler Baustein hierfür ist das Presse Grosso. Es sichert eine flächendeckende und diskriminierungsfreie Vertriebsstruktur für Presseerzeugnisse und schafft damit faire Wettbewerbsbedingungen zwischen kleinen und größeren Verlagen.

Das Presse Grosso ist der bedeutendste Vertriebsweg für Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland. Es besteht aus 67 zumeist mittelständischen und unabhängigen Presse-Grossisten, die täglich mehr als 120.000 Presseverkaufsstellen mit einem vielfältigen Angebot versorgen. Prinzipiell kann man jeden Titel auch noch am kleinsten Zeitungskiosk auf dem Dorf erhalten. Zum Vergleich: die um ein Mehrfaches größeren USA haben insgesamt nur 25.000 Verkaufsstellen mehr, die zudem durch das dortige reine Zeitschriftengrosso nur wöchentlich und nicht täglich beliefert werden.

Unser erfolgreiches Grosso-System ist nun durch ein kürzlich ergangenes Urteil des Landgerichts Köln infrage gestellt. Deshalb fordern die Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/ DIE GRÜNEN in einem gemeinsamen Antrag eine gesetzliche Verankerung des Presse-Grosso.

Es darf nicht sein, dass größere Verlage einen prinzipiell besseren Zugang zu Verkaufsstellen haben oder aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht günstigere Konditionen aushandeln können. Hierdurch würde sich die Wettbewerbssituation für kleinere Verlage nachhaltig verschlechtern. Innovative neue Zeitschriftentitel und Nischen-Verlage ohne hohe Auflagen hätten das Nachsehen. Die Folgen wären absehbar: Über kurz oder lang würde eine Reduzierung von Pressetiteln drohen und damit der Meinungsvielfalt schwerer Schaden zugefügt.

Das dürfen wir nicht zulassen. Denn Zeitungen und Zeitschriften sind keine Ware wie jede andere, sondern Kulturgüter. Zudem ist eine lebendige Demokratie  darauf angewiesen, dass die Presselandschaft möglichst vielfältige Meinungen transportiert und Großverlage kleinere Verlage nicht allein wegen ihrer Marktmacht an den Rand drängen können.

Warum ist hierfür das Presse-Grosso-System von so großer Bedeutung? Die Presse-Grossisten sind das Verbindungsglied zwischen den Verlagen und den Presseverkaufsstellen. Sie unterhalten ein aufwändiges Vertriebsnetz, organisieren die Lieferung der einzelnen Titel vor Ort und erhalten dafür eine bestimmte Marge. Von zentraler Bedeutung ist, dass nicht die Verlage bestimmen, an wen wie viel geliefert wird und wo die Verlagsprodukte wie präsentiert werden. Vielmehr hat der Presse-Grossist insofern eine Dispositionsfreiheit. Dabei muss er aber nach objektiven Kriterien vorgehen und darf einzelne Titel nicht diskriminieren. Hierdurch wird sichergestellt, dass kleine und neue Publikationen gleichberechtigt neben Kassenschlagern liegen können. Umgekehrt hat die Verkaufsstelle ein sogenanntes Remissionsrecht, das heißt, nichtverkaufte Titel können an den Grossisten zurückgegeben werden. Das wirtschaftliche Risiko trägt insofern der Grossist.

Diese Vertriebsstruktur hat sich bewährt und gilt europaweit als vorbildlich. Es gibt jedoch eine Besonderheit, die nun kartellrechtlich vom Urteil des Landgerichts Köln infrage gestellt ist. Die Konditionen werden in der Regel nicht von den einzelnen Presse-Grossisten individuell mit den Verlagen ausgehandelt. Vielmehr verhandelt auf der Seite der Presse-Grossisten der Bundesverband Presse-Grosso für seine Mitglieder. Hierdurch wird sichergestellt, dass größere Verlage gegenüber kleineren nicht besser gestellt werden und weniger zahlen, weil sie ein größeres Druckpotential haben, sondern gleiche Maßstäbe für alle gelten. Dieses gemeinsame Verhandlungsmandat des Bundesverbandes Presse-Grosso hat das Landgericht Köln als kartellrechtswidrig bezeichnet und damit der Klage des Bauer-Verlages gegen den Bundesverband Presse-Grosso stattgegeben. Dieser hat inzwischen Berufung eingelegt, so dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Das System Presse-Grosso ist aber zu wichtig, als dass wir das Risiko eingehen sollten, dass ein höchstrichterliches Urteil den Streit früher oder später endgültig entscheidet. Vielmehr ist es an der Zeit, das Grosso-System politisch zu stützen und endlich gesetzlich abzusichern.

In der Vergangenheit war das nicht notwendig, weil sich die gesamte Branche 2004 auf eine „Gemeinsame Erklärung“ verständigt  hat, durch die das Grosso-System gestaltet wurde. Dieser lange bestehende Konsens wurde von dem genannten Großverlag aufgekündigt, weil er individuell bessere Konditionen aushandeln will.

Da es um eine Kartellrechtsfrage geht, bedarf es nun einer Absicherung des Presse-Grosso im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB). Insofern ist es ein glücklicher Umstand, dass ohnehin eine GWB-Novelle ansteht. Die Bundesregierung hat angekündigt, in der nächsten Woche einen Gesetzentwurf im Kabinett zu verabschieden. Nach allen bisherigen Verlautbarungen der Bundesregierung sowie der sie tragenden Koalitionsfraktionen ist allerdings davon auszugehen, dass die gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso kein Bestandteil des Gesetzentwurfes sein wird. Dies bedauern wir sehr, zumal sich selbst die Bundeskanzlerin bei den Zeitschriftentagen im November 2011 noch für eine Absicherung ausgesprochen hat. Und insgesamt sind sich jedenfalls die Medienpolitiker aller Parteien über die große Bedeutung des Presse Grosso einig.

Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt unverzüglich die gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso auf den Weg zu bringen. Die Regelung sollte den Grossisten das zentrale Aushandeln von Handelsspannen durch ihren Berufsverband ermöglichen.

Zusätzlich flankiert werden könnte dies durch eine gesetzliche Verankerung des Presse-Grosso auch in den Pressegesetzen der Länder. Ich freue mich, dass die rot-grüne Landesregierung in NRW an dieser Stelle deutlich Position bezogen hat und auf Länderebene initiativ geworden ist. Infolgedessen hat sich Anfang März die Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder für eine Sicherung des Presse-Grosso ausgesprochen. Hierzu wurde eine länderoffene Arbeitsgruppe unter Federführung von NRW und Bayern eingesetzt, an der sich auch der Bund beteiligen soll. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Initiative der Länder zu unterstützen und ihren Beitrag zur gesetzlichen Verankerung des Presse-Grosso zu leisten. In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, inwieweit eine Schlichtungsstelle für Streitfragen zwischen den Verlagen und den Grossisten etabliert werden kann. Hierdurch könnte sichergestellt werden, dass zwischen den Beteiligten faire Konditionen ausgehandelt werden, die niemanden benachteiligen.

Sicherlich stellt sich die Frage, wie eine solche Regelung gerichtsfest und europarechtskonform im GWB verankert werden sollte. Hierzu haben der Bundesverband Presse-Grosso, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) sowie der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, der unter den genannten Gesichtspunkten geprüft werden sollte.

Zum Stichwort Medienvielfalt noch ein Hinweis: im Rahmen der geplanten GWB-Novelle beabsichtigt die Bundesregierung Änderungen des Pressefusionsrechts. Wir sind sehr gespannt, was die Bundesregierung uns letztlich im Einzelnen als Gesetzesentwurf vorlegen wird. Wir werden den Entwurf kritisch prüfen, insbesondere auf seine Auswirkungen auf die Medienvielfalt in Deutschland. Auch das wird eine interessante Debatte werden. In diesem Zusammenhang bedauern wir sehr, dass die Bundesregierung bislang die Mediendatenbank noch nicht vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, obwohl für diese seit 2009 Mittel im Bundeshaushalt eingestellt sind. Die hierzu gefertigten Gutachten sollten nun schnell veröffentlicht werden, damit wir eine bessere Datengrundlage über Angebot, Nutzerverhalten und Konzentrationstendenzen in der deutschen Medienlandschaft haben.  

Einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherung der Medienvielfalt könnte die Bundesregierung in jedem Falle dadurch leisten, das sie unsere Initiative für eine gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso unterstützt. Die Zeit ist reif – und die Zeit drängt. Wir dürfen das bewährte System des Presse-Grosso nicht aufs Spiel setzen.Â