Alle Optionen zur Lösung der Staatsschuldenkrise sind riskant

Standpunkt von Martin Dörmann aus Berlin Depesche Nr. 66:

Die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum stellt die Politik vor bislang einzigartige Herausforderungen. Zur Lösung der Probleme gibt es weder Präzedenzfälle noch einen Masterplan. Kein Wunder, dass sich auch Ökonomen und Finanzexperten nicht einig sind, was zu tun ist. Zu Recht sind die Menschen angesichts der im Raum stehenden Milliardenbeträge in Sorge und verunsichert.

Dabei geht es längst nicht mehr allein um die Frage der Rettung Griechenlands vor der Zahlungsunfähigkeit. Vielmehr stellt sich die grundlegende Frage, ob und wie die europäische Währungsunionfortbestehen kann. Wir stehen vor einem klassischen Dilemma: jede Option ist mit erheblichen Risiken für die Währungsunion und alle beteiligten Staaten verbunden.

Die Staatsverschuldung in Griechenland beträgt inzwischen 160 Prozent  des Bruttoinlandsproduktes. Es ist offensichtlich. Das Land ist überschuldet, eine Umschuldung (mit einem Schuldenschnitt) wohl letztlich unumgänglich. Die rigiden Sparbeschlüsse der griechischen Regierung sind strukturell notwendig, führen aber gleichzeitig auch zunächst zu einer verstärkten Rezession der griechischen Wirtschaft. Und das in einem Land, das in den meisten Wirtschaftsbereichen seine Wettbewerbsfähigkeit längst verloren hat. Es rächt sich bitter, dass man dauerhaft auf Pump gelebt hat und in vielen Bereichen die staatlichen Strukturen völlig unzureichend sind, beispielsweise im Hinblick auf eine gerechte und effektive Besteuerung. Griechenland steht vor einem langen, harten Weg und möglicherweise auch vor erheblichen politischen Turbulenzen.

Soll man nun raten oder darauf hoffen, dass Griechenland aus der Währungsunion austritt und die Drachme wieder einführt, um über eine Abwertung der eigenständigen Währung Wettbewerbsfähigkeit zurückzubekommen? Für Griechenland wäre dies wohl der schlimmste Fall, weil das Bankensystem zusammenbrechen würde, da die Euro-Schulden ja erhalten blieben.

Hinzu kommt: das griechische Problem lässt sich so oder so nicht isoliert betrachten. Eine Staatspleite Griechenlands hätte voraussichtlich zur Folge, dass auch größere Staaten wie Spanien und Italien von den Finanzmärkten als hohes Risiko herabgestuft würden und sich möglicherweise gezwungen sehen, ebenfalls den Euro aufzugeben. Dann ließe sich der Euro auch im NachbarlandFrankreich kaum mehr halten – die Währungsunion wäre Geschichte. Dabei brauchen wir angesichts der globalen Herausforderungen mehr und nicht weniger Zusammenarbeit in Finanz- und Währungsfragen.

Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte und den europäischen Wirtschaftsraum wären bei einem Ende des Euro überhaupt nicht absehbar und damit auch nicht die Kosten für Deutschland. Denn als Exportnation Nummer 1 profitiert kein Land so sehr vom Euro. Wir würden durch eine europäische Rezession besonders stark getroffen. Es würde uns ein Abschwung und eine deutlich steigende Arbeitslosigkeit drohen.

Angesichts dieses unkalkulierbaren Risikos ist es vernünftig, Griechenland mit dem europäischen Rettungsschirm zu helfen und auf eine Beruhigung der Finanzmärkte zu setzen. Zweifelsohne ist auch dieser Weg nicht ohne erhebliche Risiken – gegenüber einem Totalzusammenbruch der Währungsunion erscheint er aber aus heutiger Sicht als das kleinere Ãœbel.

Gleichzeitig ist klar: es braucht neben kurzfristig wirkenden Maßnahmenstrukturelle Reformen und EU-Vertragsänderungen, damit der Euro-Raum auf Dauer stabilisiert werden kann. Es muss sichergestellt werden, dass überschuldete Staaten sich nicht unkontrolliert auf die Solidarität anderer verlassen. Wer Hilfe erhält, muss gezwungen werden können, seine Schulden in den Griff zu bekommen. Auch wenn dies im Einzelfall zu einer Abtretung fiskalischer Souveränitätsrechte führt.

Mit den bisher auch vom Bundestag verabschiedeten Rettungspaketen sind noch nicht alle Probleme gelöst. Dieses Wissen machte es jedem Abgeordneten schwer, zuzustimmen. Aber am Ende tragen wir Verantwortung und müssen den Weg gehen, der sowohl im deutschen als auch im europäischen Interesse als beste Möglichkeit unter problematischen Alternativen erkennbar ist. Trotz mancher Zweifel, die zwangsläufig bleiben.