Plenardebatte im Deutschen Bundestag am 12. Mai 2011:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte zunächst im Namen der SPD-Bundestagsfraktion die Gelegenheit
nutzen, den beiden ernannten Ministern sehr herzlich zu ihrem neuen Amt zu gratulieren. Ich hoffe im Interesse unseres Landes, dass sie eine gute Hand bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben walten lassen. Speziell für den Wirtschaftsausschuss darf ich hinzufügen, dass wir uns bei Herrn Brüderle für die konstruktive Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken. Wir gehen davon aus, dass auch mit seinem Nachfolger eine solche Zusammenarbeit gepflegt wird.


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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserer Informationsgesellschaft nimmt die Bedeutung der Telekommunikation und insbesondere des Internets täglich zu. Darauf muss die Politik konsequent reagieren. Die aktuellen Herausforderungen liegen auf der Hand:

Erstens. Wir benötigen mehr Verbraucherschutz, etwa vor Kostenfallen, unseriösen Anbietern oder ärgerlichen Warteschleifen.

Zweitens. Wir brauchen eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität. Die Innovationskraft des Internets muss erhalten bleiben. Diskriminierungen müssen von vornherein verhindert werden.

Drittens. Wir brauchen vor allem eine flächendeckende Versorgung mit
schnellem Internet. Es darf nicht sein, dass viele Menschen in ländlichen Regionen von der Teilhabe am technologischen Fortschritt abgehängt werden.

Die anstehende Novellierung des Telekommunikationsgesetzes ist eine hervorragende Gelegenheit, in all diesen Fragen einen entscheidenden
Schritt voranzukommen. Sie ist notwendig geworden, weil es einen neuen EU-Rechtsrahmen gibt, der von den Mitgliedstaaten national umzusetzen ist. Viele Vorgaben der EU zielen in die richtige Richtung und werden von uns deshalb ausdrücklich begrüßt. Ich nenne als Beispiel die Verbesserungen beim Verbraucherschutz oder auch Anreize zu mehr Breitbandinvestitionen.

Insgesamt reichen diese Vorschläge aber bei weitem nicht aus, um den
Herausforderungen wirklich gerecht zu werden. Leider, sehr geehrter Herr Kollege Otto, hat sich die Bundesregierung im Wesentlichen darauf beschränkt, die europäischen Vorgaben umzusetzen. Was ich vermisse, ist, dass eigene Impulse gesetzt und weitergehende Konzepte vorgelegt werden.

Wir müssen unter dem Strich leider feststellen: Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf, sondern in weiten Teilen eher ein Dokument verpasster Chancen.

Ich will Ihnen nur ein konkretes Beispiel nennen. Die Bundesregierung
gibt selbst vor, dass Netzneutralität auch für sie ein wichtiges Anliegen ist.
Dann kann man aber auch erwarten, dass sich das im Gesetzestext niederschlägt. Es ist aber an keiner Stelle des Gesetzestextes selbst das Wort „Netzneutralität“ erwähnt; das muss man erst einmal zustande bringen. Der bloße Hinweis auf Transparenzvorschriften reicht bei weitem nicht aus.
Übrigens, selbst die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation hat den Entwurf deshalb als völlig unzureichend kritisiert.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits eigene Anträge zur gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität und für besseren Verbraucherschutz
vorgelegt. Ein dritter Antrag, und zwar zum Breitbandausbau, folgt in der nächsten Sitzungswoche.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, wir fordern
Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass bei dem Gesetzgebungsverfahren, also
unter anderem bei den weiteren Beratungen in den Ausschüssen, der TKGEntwurf deutlich verbessert wird. Greifen Sie dabei unsere Vorschläge auf.

Der größte Handlungsbedarf ergibt sich aus unserer Sicht auch weiterhin
beim Breitbandausbau. Schnelles Internet für alle muss endlich flächendeckend realisiert werden. In immer mehr Lebensbereichen wird die Anbindung an das Internet inzwischen vorausgesetzt – sei es in der Schule, im Beruf, bei der Kommunikation zwischen den Menschen oder auch bei Freizeitaktivitäten.
Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass noch immer zahlreiche Kommunen
keinen angemessenen Breitbandanschluss haben.

An vielen Stellen klafft leider eine große Lücke zwischen den Ankündigungen der Bundesregierung und ihren Maßnahmen. So musste die Bundesregierung selbst einräumen, dass ihr Ausbauziel 2010 verfehlt wurde, übrigens weit deutlicher, als es der gerne zitierte Breitbandatlas aussagt; denn der leidet an systematischen Mängeln und bildet die Wirklichkeit in Deutschland nicht ab.

Herr Otto, Sie sagen, zwischen 75 Prozent und 100 Prozent Verwirklichung des 50-Megabit-Ziels klaffe nur eine kleine Lücke. Das ist eine Verkehrung der Tatsachen; denn Sie wissen, dass die letzten 25 Prozent die teuersten sind.

Deshalb glaube ich, dass die Bundesregierung an Realitätsverlust leidet.
Dort, wo inzwischen Erfolge vorzuweisen sind, sind diese keineswegs auf die Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition zurückzuführen. Ich will daran erinnern: Es war der damalige Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, der im Zusammenhang mit dem zweiten Konjunkturpaket überhaupt erst für die Verabschiedung einer Breitbandstrategie gesorgt hat.

Sehr geehrter Herr Otto, in deren Folge kam es dann zur Umsetzung der Digitalen Dividende, die Sie jetzt immer gerne zitieren; das heißt, bei der Frequenzversteigerung wurden Ausbauverpflichtungen zur Schließung der weißen Flecken festgelegt. Auf dieser Grundlage bauen die Mobilfunkunternehmen das mobile Breitband nun mit der neuen, modernen LTE-Technologie aus, mit der im ersten Schritt Bandbreiten von wahrscheinlich 3 bis 5 Megabit pro Sekunde realisiert werden. Nach deren Ankündigung können wir davon ausgehen, dass das etwa im Jahre 2012 flächendeckend umgesetzt sein wird.

Die Erfahrung lehrt allerdings auch, dass man mit Ankündigungen vorsichtig sein muss. Um vielleicht verbleibende vereinzelte Lücken tatsächlich zu schließen, macht es aus meiner Sicht deshalb durchaus Sinn, durch eine entsprechende Universaldienstverpflichtung eine Grundversorgung gesetzlich abzusichern. Die neuen EUVorgaben sehen ohnehin vor, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, einen funktionalen Internetzugang als Universaldienst festzulegen. Dies setzt die Bundesregierung ja auch um.

Aber die EU eröffnet den Mitgliedstaaten darüber hinaus auch die Möglichkeit, zusätzlich eine feste Bandbreite als Universaldienst festzulegen. Einige EU-Länder haben davon bereits Gebrauch gemacht.

Allerdings sind die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Höhe der Bandbreite
nicht völlig frei. Eine Universaldienstverpflichtung bedeutet einen erheblichen Eingriff in den Markt. Deshalb hat die EU bestimmte Kriterien vorgegeben:

Erstens. Wettbewerbsverzerrungen müssen so weit wie möglich vermieden werden.
Zweitens. Die Ausgestaltung des Universaldienstes muss technologieneutral erfolgen.
Drittens. Die maximale Bandbreite in den Mitgliedstaaten kann nicht beliebig festgelegt werden. Sie hat sich daran zu orientieren, welche Bandbreite von der Mehrheit der Nutzer tatsächlich verwendet wird.

Nach Einschätzung des Branchenverbandes VATM und auch der Bundesnetzagentur sind das heute Bandbreiten von etwa 2 bis 6 Mbit pro Sekunde, also solche Bandbreiten, die durch den LTE-Ausbau realisiert werden können. Was aber europarechtlich auf keinen Fall zulässig ist, wäre ein Universaldienst mit höheren Bandbreiten, der neuerdings in einem Positionspapier der Unionsfraktion vorgesehen ist.

Zu Recht hat dieses Papier deshalb in der Fachwelt heftiges Kopfschütteln ausgelöst. Es ist offenkundig, dass sich die Wirtschaftspolitiker der Union nicht einmal mit den rechtlichen Voraussetzungen für ihre Vorschläge auseinandergesetzt haben. Ich denke, auch dadurch wird die fehlende Ernsthaftigkeit  der Regierungskoalition bei diesem Thema dokumentiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben einer Breitbandgrundversorgung brauchen wir eine dynamische Entwicklung. Der Bedarf nach h̦herer Bandbreite wird auch weiterhin stark wachsen Рalleine schon wegen der wachsenden Zahl der Nutzer und neuer Anwendungen.

Unser Ziel als stärkste Wirtschaftsnation in Europa kann nur sein,
auch bei der Breitbandinfrastruktur Spitze zu sein.
Wir fordern die Regierungskoalition deshalb auf: Machen Sie endlich Ihre
Hausaufgaben konsequent! Unterlegen Sie Ihre Ausbauziele durch wirksame Maßnahmen! Berufen Sie beispielsweise unverzüglich einen nationalen Breitbandgipfel mit den Ländern und Kommunen ein; denn wir brauchen ein abgestimmtes Vorgehen, sowohl im Hinblick auf die Verbesserung der planungsrechtlichen Voraussetzungen als auch bei der Abstimmung von Förderprogrammen.
Selbstverständlich setzen wir in erster Linie auf faire Wettbewerbsbedingungen und auf gute Investitionsmöglichkeiten für die Unternehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen. Seit
ihrem Amtsantritt haben wir von der schwarz-gelben Bundesregierung noch keine wirklich neuen und eigenen Impulse für den Breitbandausbau gesehen. Die haben andere gesetzt. Das Internetzeitalter braucht aber keine Politik mit der Geschwindigkeit einer Schnecke. Bitte satteln Sie endlich das Rennpferd.