„Eine große Bedrohung für die Medienfreiheit“.

Artikel aus Berlin Depesche Nr. 63.

In der Plenardebatte am 19. Januar 2011 hielt Martin Dörmann im Rahmen einer „Aktuellen Stunde“ des Deutschen Bundestages eine Rede zum ungarischen Mediengesetz, das zu Beginn des Jahres in Kraft getreten ist und in ganz Europa auf Empörung stieß.



„Ja, ausgerechnet Ungarn! Ungarn, dem Deutschland und die anderen europäischen Länder so viel zu verdanken haben, Ungarn, das 1989 zu jenen Ländern gehörte, die einen entscheidenden Anteil an der Überwindung des Eisernen Vorhangs hatten, Ungarn, das wir alle als ein Symbol für den Kampf um Meinungsfreiheit und andere Freiheitsrechte verstehen. Europa da sind wir uns, denke ich, alle einig sähe ohne das entschiedene Handeln der Ungarn im Jahre 1989 anders aus.

Ich freue ich mich, dass heute der stellvertretende Botschafter Ungarns unter uns ist. Wir begrüßen es sehr, dass Ungarn die Ratspräsidentschaft hat, weil es uns die Chance gibt, gemeinsam mit den Ungarn auch über diese Themen zu diskutieren. Denn so wie wir den Ungarn für ihren damaligen Mut dankbar sind, so können die Ungarn heute von uns umgekehrt erwarten, dass wir uns zur Bedrohung der Meinungsfreiheit in ihrem Land deutlich zu Wort melden.

Warum hat Ungarn einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union gestellt? Weil die Menschen in die Europäische Union aufgenommen werden wollten, damit auch in die europäische Werteordnung. Heute sind sie angekommen. Jetzt steht auf dem Prüfstand, ob wir das ernst nehmen, ob wir uns als diejenigen verstehen, die die Rechte, die das ungarische Volk an dieser Stelle hat, auf europäischer Ebene durchsetzen. Darum geht es heute.

Es ist nicht das ungarische Volk, das dieses Gesetz beschlossen hat; es ist in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der konservativen Regierung Orban mit ihrer Zweidrittelmehrheit, die sie nun einmal im Parlament hat, durchgedrückt worden, wie ich meine, ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich will eine ungarische Stimme zitieren. Der ungarische Autor György Konrád beschreibt die Folgen dieses Mediengesetzes wie folgt:
„Wir sprechen von einem Mediengesetz, doch im Wesentlichen geht es um die Erstickung der Presse- und kulturellen Freiheit. Gestohlen wird uns das, was das Ziel und die Errungenschaft der öffentlichen und illegalen demokratischen Bewegung sowie das Wunder von 1989 war. …. Die Rede ist von einer neuartigen Diktatur. Ihre Neuartigkeit besteht darin, dass sie versucht, innerhalb der Europäischen Union zu existieren und zu wirken.“

Lassen wir nicht zu, dass die Werte Europas auf diese Weise ausgehöhlt werden. Schweigen wir nicht, wenn die Berlusconis und Orbans in Europa selbst bestimmen wollen, ob Kritik an ihnen erlaubt ist oder eben nicht. Eine staatliche Kontrolle der Medien, so wie es das ungarische Mediengesetz vorsieht, steht im Widerspruch zur Charta der Grundrechte der EU, zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zu den Grundrechtstraditionen der Mitgliedstaaten. Angriffe auf die Presse- und Medienfreiheit und auf das Prinzip der Gewaltenteilung sind Angriffe auf den Wesenskern der Europäischen Union. Alle demokratisch gesinnten Kräfte sind aufgerufen, sich derartigen Entwicklungen entschieden entgegenzustellen. Deshalb ist das weitgehende Schweigen der Bundesregierung in der Tat kaum nachvollziehbar.

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hoyer, ich schätze Sie als Kölner Kollege und Sie wissen das als einen sehr bedächtig und angemessen redenden Menschen. Ich habe Sie beobachtet; ich interpretiere das. Ich glaube, es kann Ihnen bei den Wortbeiträgen, die heute sowohl aus Reihen der FDP-Fraktion als auch der Unionsfraktion gekommen sind, nicht wohl gewesen sein.

Ich finde es schon skandalös, wenn hier, wie schon gestern im Europäischen Parlament, ein Vergleich zwischen dem nordrhein-westfälischen Mediengesetz und dem ungarischen Mediengesetz gezogen wird. Gegen einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen vorzugehen, ist doch etwas anderes, als in einem Gesetz die Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung zu konstatieren, wie es in Ungarn geschieht, zumal ein einseitig regierungsnah besetztes staatliches Gremium der Kollege Dr. Schmidt hat zu Recht darauf hingewiesen definieren, kontrollieren und sanktionieren kann, unter klarer Missachtung der Gewaltenteilung. Dabei gehört doch die Möglichkeit, in der Berichterstattung eine Tendenz zum Ausdruck zu bringen, zum Wesen der Meinungsfreiheit. Deshalb sage ich auch: Es ist bedauerlich, dass sich die deutschen Medien, die sehr stark in Ungarn vertreten sind, bisher sehr zurückhaltend geäußert haben. Ich hoffe nicht, dass das ein erstes Zeichen dafür ist, dass dieses Gesetz wirkt; denn wir alle wissen: Gerade Mediengesetze wirken nicht erst dann, wenn der erste Journalist eine Strafe zahlen muss oder wenn die erste Zeitung geschlossen wird. Ein solches Mediengesetz wirkt bereits dann, wenn alle die Gefahr sehen und wenn die Schere im Kopf da ist. Genau das ist das Ziel dieses Gesetzes.

Deshalb müssen wir uns hier und heute äußern. Es reicht nicht, wenn die FDP sagt, wir müssten sachlich debattieren. Sie haben hier nicht sachlich debattiert, weil Sie am Kern des Problems vorbeigegangen sind.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Die SPD-Fraktion fordert von der ungarischen Regierung und dem ungarischen Parlament nicht nur die inzwischen halbwegs zugesagte Überprüfung, sondern tatsächlich die Aufhebung, zumindest aber die Aussetzung des undemokratischen und europarechtswidrigen Mediengesetzes.

Wir erwarten von der Bundesregierung, von der EU-Kommission und auch vom EU-Parlament, dass diese sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für dieses Ziel einsetzen. Dafür haben wir sie geschaffen. Das wäre im Interesse eines freien und demokratischen Ungarn und im Interesse eines zukunftsfähigen Europas.“