Deutschland leidet unter Schwarz-Gelb.

Artikel von Martin Dörmann aus der Berlin Depesche Nr.59.

Liebe Leserinnen und Leser,
Europa und seine Währungsunion stehen in diesen Tagen vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte, ausgelöst durch die Griechenlandkrise und heftige Spekulationen um den Euro. Ausgerechnet in dieser Situation versagt die Bundesregierung

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Als der Bundestag am 7. Mai der Griechenlandhilfe zustimmte, hieß es von Seiten der Regierungskoalition in der Plenardebatte,
mehr Geld werde nicht benötigt. Noch am selben Tag reiste die Bundeskanzlerin nach Brüssel, wo man nur Stunden später einen zusätzlichen Rettungsschirm für die Eurozone in Höhe von 750 Milliarden Euro beschloss – offenbar zuvor bereits ohne
deutsche Vertreter abgesprochen.

Deutlicher kann nicht dokumentiert werden, dass Deutschland in der EU inzwischen nur noch die zweite Geige spielt. Allzu sehr hatte Angela Merkel in den Wochen zuvor den NRW-Wahltermin im Auge gehabt und sich in der EU auf wahltaktische
Äußerungen konzentriert. Das Heft des Handelns hatten andere in der Hand. Auch im Hinblick auf die notwendige Beteiligung der Finanzmärkte an den Kosten der Krise ist nicht wirklich klar, was diese Bundesregierung eigentlich will. Auch deshalb, weil sie offenbar selbst nicht weiß, was sie wollen soll. Erst argumentiert Angela Merkel gegen die Finanztransaktionssteuer,
dann ist sie dafür, bekommt aber im Bundestag mit ihrem Koalitionspartner keine klare Beschlusslage hin. Deutschland erlebt derzeit eine Regierung ohne Kompass und Kompetenz. Das ist kein Zufall.

Schon bei der Bundestagswahl im September letzten Jahres war die schwarzgelbe Koalition im Grunde genommen historisch überholt – ohne zeitgemäße politische Vision und überzeugendes Konzept. Aufgrund einer gewohnt passiven Kanzlerin und Unionsfraktion konnte sich die FDP an vielen zentralen Stellen im Koalitionsvertrag durchsetzen. Allerdings mit Themen, die Deutschland nicht nach vorne bringen, sondern zurückwerfen: Kopfpauschale, Steuersenkung für Besserverdienende und Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke seien beispielhaft genannt. Die Hoteliers ließen schön grüßen und haben sich erkenntlich gezeigt.

Das alles sind fragwürdige Projekte, die in der deutschen Bevölkerung keinerlei Mehrheit finden. Für diese rückwärts gewandte Politik und eine konturlose Landesregierung haben CDU und FDP bei der Landtagswahl in NRW die verdiente Quittung erhalten: Schwarz-Gelb wurde klar abgewählt! Damit steht auch fest, dass die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verloren ist. Die Großprojekte dieser Koalition werden sich in dieser Legislaturperiode kaum mehr verwirklichen lassen. Zumal die Unions-Ministerpräsidenten langsam nervös werden. Das NRW Wahlergebnis war letztlich der Sargnagel für den Koalitionsvertrag, der ohnehin mehr Prüfaufträge als konkrete Festlegungen enthielt. Jetzt haben also die Wähler geprüft und für schlecht befunden.
Doch nicht nur Deutschland leidet unter Schwarz-Gelb. Die Koalition ist selbst tief zerstritten, die Stimmung unter dem Nullpunkt. Beispielhaft sei ein Unionskollege erwähnt, der es so auf den Punkt brachte: die FDP sei eine seelenlose Partei, 80 Prozent der Unionsfraktion wären die Koalition inzwischen leid. Die Union ist stinksauer auf die FDP, der weite Teile die Regierungsfähigkeit absprechen. Das unwürdig-aggressive Auftreten Westerwelles und das penetrante Beharren der FDP auf reiner Klientelpolitik gegen jede ökonomische Vernunft – das alles fällt letztlich auch auf die Union zurück, die die Liberalen leichthin gewähren ließ – aber eben auch selbst trotz Rekordverschuldung unsinnige Steuersenkungen auf Pump beschloss.

In der Großen Koaltion profitierte Angela Merkel von starken SPD-Ministern und konnte so ihre Ideenlosigkeit kaschieren. Deren Konzepte waren es, die unser Land damals besser durch die Krise brachten als erwartet, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Nun, wo sie persönlich gefordert wäre, steht Merkel da, wie eine Kanzlerin ohne Kleider. Die SPD als führende Oppositionspartei wird die Regierung weiter unter Druck setzen. Die Finanzmärkte müssen endlich wirksam reguliert und an
den von ihr mit verursachten Kosten der Krise beteiligt werden. Wir fordern einen Politikwechsel: weg von der Klientelorientierung hin zu mehr Gerechtigkeit. Gerade in der Krise müssen starke Schultern mehr tragen.