Bundestagsrede am 25. Februar 2010 zur ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen


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Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor gerade einmal zwei Tagen ist das Zugangserschwerungsgesetz in Kraft getreten. Es regelt das Sperren von Internetseiten mit kinderpornografi-schen Inhalten. Das Sperren soll dann erfolgen, wenn ein Löschen dieser Sei-ten nicht in angemessener Zeit erreicht werden kann.
Ich denke, es gibt niemanden in diesem Hause, der das Ziel nicht teilt, kinderpornografische Inhalte nachhaltig aus dem Netz zu entfernen. Wir müssen aber erkennen: Es war ein Fehler, dass die Große Koalition dabei im vergangenen Jahr auch auf das Instrument der Internetsperren gesetzt hat, wenn auch nur als Ultima Ratio.
Solche Sperren sind technisch leicht zu umgehen.
Sie beseitigen nicht die eigentlichen Inhalte und entfalten in erster Linie eine symbolische Wirkung.
Gleichzeitig aber wecken sie bei vielen Menschen die Sorge vor einer Internet-zensur.
Auch wenn gerade dies nicht beabsich-tigt war, hat die Politik insgesamt einen Verlust an Glaubwürdigkeit und Akzep-tanz erlitten, zumal selbst Unionsmitg-lieder hinter vorgehaltener Hand oder sogar ganz offen zugeben, dass es der damaligen Familienministerin, Frau von der Leyen, die die Sperren auf die Tagesordnung gesetzt hatte, vor allem um ein populäres Wahlkampfthema ging.
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht ihre Mitverantwortung und will hieraus die richtigen Konsequenzen ziehen.
Politik muss sich auch korrigieren kön-nen.
Aus diesen Gründen bringen wir heute einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, um das Zugangserschwerungsge-setz aufzuheben. Es ist richtig, auf die symbolischen Internetsperren zu ver-zichten und konsequent auf das Prinzip „Löschen statt Sperren“ zu set-zen; denn nur mit dem Löschen der rechtswidrigen Seiten und der konsequenten Strafver-folgung können die kinderpornografischen Inhalte wirksam aus dem Netz entfernt werden.
Die SPD hat stets deutlich gemacht, dass zu einer erfolgreichen Be-kämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet eine Vielzahl von Maßnahmen gehören, und hierzu im letzten Jahr einen eigenen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Dazu gehören insbesondere eine bessere Ausstattung der Polizei und eine intensive internationale Zusammenarbeit. Denn schließlich sind das Hauptproblem die Seiten auf ausländischen Servern, die nicht direkt von Deutschland aus gelöscht werden können.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie nun zügig und konsequent entsprechende Maßnahmen ergreift. Bisher haben wir zwar viele An-kündigungen gehört, aber nur wenige Taten gesehen.
Immerhin ist zu begrüßen, dass auch die neue Bundesregierung ausdrücklich das Prinzip „Löschen statt Sperren“ anerkennt.
Das muss dann aber auch rechtsstaat-lich sauber umgesetzt werden, also durch die Aufhebung des Sperrgeset-zes.
Nicht akzeptabel ist das   das sage ich insbesondere an die Adresse der Libe-ralen, die sich hier jetzt sehr aufregen  ,
worauf sich Union und FDP geeinigt haben, nämlich das Gesetz für ein Jahr faktisch nicht anzuwenden.
Der damit verbundene rechtliche und politische Wirrwarr, den Sie angerichtet haben, muss schnellstmöglich beendet werden.
Es geht nicht, dass durch Regierungs-anweisung ein Gesetz einfach mal eben ausgesetzt wird.
Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis und viele andere haben das bereits als verfassungswidrig bezeichnet.
Es ist beschämend, dass sich Union und FDP hierfür hergeben, letztlich nur, um einen Koalitionskompromiss hinzubekommen.
Es genügt auch nicht, anzukündigen, demnächst werde man ein Löschgesetz vorlegen. Niemand weiß heute, ob und wann ein solches Gesetz tatsächlich in Kraft treten würde. Eines kommt hinzu: Durch die Ankündigung eines Löschgesetzes und aktuelle Stel-lungnahmen erweckt die Regierungs-koalition den Eindruck, es brauchte ein Gesetz, um solche Seiten zu löschen. Das Gegenteil ist der Fall.
Es ist völlig unstreitig, dass bereits nach bisheriger Rechtslage und ohne ein besonderes Gesetz kinderpornografische Inhalte in Deutschland durch die Internetprovider vom Netz genommen werden müssen.
Das ist im Übrigen übliche Praxis. Ein einfacher Hinweis des BKA genügt in der Regel. Ein Verbreiten solcher Inhal-te ist bereits strafbar.
Vor diesem Hintergrund fordert die SPD-Bundestagsfraktion die Koalitions-fraktionen auf, von jeglichen symboli-schen und rechtsstaatlich bedenklichen Handlungen Abstand zu nehmen. Denn das würde den Vertrauensschaden für die Politik nur noch vergrößern.
Mehr als 130 000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr der E-Petition gegen das Gesetz angeschlos-sen. Es hat sich gezeigt, wie gut es war, dass Rot-Grün seinerzeit dieses Instru-ment neu geschaffen hat. Erst am Mon-tag haben wir in einer Anhörung des Petitionsausschusses, die ich sehr gut fand, mit Frau Franziska Heine, die die E-Petition mit auf den Weg gebracht hat, darüber diskutiert. Der Erfolg der E-Petition hat die Politik offensichtlich stark beeinflusst und insgesamt zu einer neuen Sensibilität für Fragen des Internets beigetragen. Es ist gut, dass inzwischen alle Parteien Netzpolitik zu einem wichtigen Thema erklärt haben. In der nächsten Woche werden wir im Bundestag, die Regierungskoalition zusammen mit den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ auf den Weg bringen.
Die E-Petition hatte übrigens bereits erheblichen Einfluss auf das Gesetzge-bungsverfahren im vergangenen Jahr. Mit ihrem Rückenwind konnte die SPD-Bundestagsfraktion gegen den anfänglichen Widerstand aus der Union entscheidende Verbesserung am damaligen Gesetzentwurf durchsetzen. So wurden wichtige Punkte gesetzlich verankert. Ich nenne nur das Prinzip „Löschen vor Sperren“, eine strenge Kontrolle der BKA-Sperrliste, zahlreiche Da-tenschutzbestimmungen sowie eine Befristung des Gesetzes.
Uns ging es dabei nicht darum, eine Sperrinfrastruktur aufzubauen, sondern – im Gegenteil – eine sich bereits im Aufbau befindliche Sperrinfrastruktur zu kontrollieren und gesetzlich einzugrenzen. Folgendes wird bis heute in der öffentlichen Debatte viel zu wenig beachtet: Bereits vor dem Gesetz gab es Verträge zwischen dem BKA und den wichtigsten deutschen Internetprovidern über die Einrichtung solcher Sperren, und zwar ohne jegliche Kontrolle und mit der Gefahr, dass sich auch jemand, der ungewollt auf illegale Seiten stößt, einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen konnte. Nach den uns vorliegenden Informationen wurde diese Sperrinfrastruktur bereits vor einiger Zeit umgesetzt, und zwar völlig unabhängig vom Gesetz. Zur Ver-hütung von Schlimmerem haben wir als SPD-Fraktion uns damals verpflich-tet gefühlt, zahlreiche Schutzbestimmungen zugunsten der Internet-User gesetzlich zu regeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der SPD-Fraktion geht es heute darum, die netzpolitische Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Deshalb fordern wir nicht nur die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes, sondern auch die unverzügliche Aufhebung aller einschlägigen BKA-Verträge, die durchaus angekündigt wurde. Lassen Sie uns also klare Ver-hältnisse schaffen! Sorgen wir dafür, dass die Politik ihre insgesamt verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurückge-winnt! Recht und Freiheit im Internet zu sichern, sollten wir als gemeinsame Aufgabe wahrnehmen.
Vielen Dank.