Anmerkungen zum Ergebnis der Bundestagswahl.
Artikel von Martin Dörmann aus der Berlin Depesche Nr. 55

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Liebe Leserinnen und Leser,
der dramatische Stimmeneinbruch der SPD bei der Bundestagswahl bedeutet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte unserer Partei. Und er verändert mit einer klaren schwarz-gelben Mehrheit das Gesicht der Bundesrepublik.

Die Sozialdemokratie ist nun aufgefordert, das Votum der Wählerinnen und Wähler anzunehmen, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits durch eine gute Oppositionsarbeit. Andererseits durch eine ehrliche und differenzierte Analyse der Wahlniederlage.

Zunächst einmal ist das Bemerkenswerte: die sozialdemokratische Regierungsbilanz kann sich objektiv durchaus sehen lassen. Unter Rot-Grün ist Deutschland toleranter, offener und ökologischer geworden. In der Großen Koalition haben wir Sozialdemokraten dafür gesorgt, dass unser Land bislang besser durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen ist als es viele erwartet haben. Insbesondere auch auf dem Arbeitsmarkt. Und wir haben viel konkret bewegt, von mehr Betreuungsmöglichkeiten bis hin zu branchenbezogenen Mindestlöhnen für fast vier Millionen Menschen.

Insofern ist das Wahlergebnis durchaus ungerecht. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die SPD geschlossen hinter einem guten Wahlprogramm stand und es andere waren, deren Ideologie gescheitert ist.

Weshalb also dennoch dieser Absturz? Sicher auch aus dem Widerspruch heraus, die Große Koalition einerseits verlassen zu wollen, andererseits aber keine andere Machtalternative zu haben. Zwiespältig sind auch die Anhänger der SPD, von denen ein Teil eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei fordert, ein anderer aber strikt ablehnt.

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich zersplittert. Frühere gesellschaftlichen Milieus haben sich Stück für Stück aufgelöst, eine neue Vielfalt ist entstanden, die mehr und mehr individualistisch orientiert ist.

Die Stärke der SPD ist dabei zugleich ihre Schwäche: sie ist im Gegensatz zu ihren Konkurrenten in allen Berufsgruppen relativ gleich stark vertreten und muss integrativ wirken. Das macht es schwerer, ein zugleich scharfes und für alle gleichermaßen ansprechendes Profil zu entwickeln. Zumal Politik anspruchsvoller und weniger durchschaubar geworden ist. Die Problemlösungen sind komplex, viele Kompromisse nötig: in einer Koalition, mit dem Bundesrat oder in der EU. Das hat die SPD in besonderer Weise getroffen, da sie als Regierungspartei im Gegensatz zu allen anderen elf Jahre lang im kritischen Fokus der Öffentlichkeit und einer immer intensiver gewordenen Medienlandschaft stand.

Angesichts der wirtschaftlichen Probleme sind eigene Fehler nicht ausgeblieben, die viele unserer Stammwähler erschreckt haben. Bei Hartz IV hätte die Lebensleistung der langjährig arbeitenden Menschen von Anfang an stärker berücksichtigt werden müssen, bei der Rente mit 67 die unterschiedlichen Möglichkeiten, erwerbsfähig zu bleiben. Dort sind Korrekturen notwenig, die ja auch zum Teil bereits im Wahlprogramm berücksichtigt wurden. Gleichzeitig darf das Ziel nicht aus den Augen verloren werden, der demografischen Entwicklung gerecht zu werden und die Grundlagen des Sozialstaates nachhaltig zu sichern.

Strategisch ist die Herausforderung, dass die SPD nur dann wieder im Bund mehrheitsfähig wird, wenn sie sowohl Wähler/innen von der Linken als auch aus der politischen Mitte zurückgewinnt. Soziales Profil und ökonomische Kompetenz müssen also miteinander verbunden werden. Um nachhaltiges Vertrauen aufzubauen, kommt es dabei auf die richtige Mischung aus Kontinuität und Erneuerung an – sowohl inhaltlich als auch personell. Die Neuordnung der Spitzen von Partei und Fraktion drückt dies aus.

Die SPD wird wieder näher an die Menschen rücken und die vielfältiger gewordenen gesellschaftlichen Lebenseinstellungen berücksichtigen.

Es geht um ein modernes Projekt für eine sozial gerechte Wissensgesellschaft, die niemanden von der gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Teilhabe ausschließt.

Dafür wird auch weiterhin eine starke Sozialdemokratie gebraucht.