Artikel von Martin Dörmann aus der Berlin Depesche Nr. 45.

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Es ist schon paradox: die Gesellschaft in Deutschland und ihre Werte sind zutiefst sozialdemokratisch geprägt. Und doch leidet die SPD seit einiger Zeit unter einem bedenklichen Umfragetief.

Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Mit der Linkspartei ist uns eine Konkurrenz erwachsen, die sich im Westen zu einem großen Teil aus früheren Mitgliedern und Stammwählern rekrutiert, die der Reformpolitik der „Agenda 2010“ kritisch gegenüberstehen. Gleich­zeitig ahmen fast alle Parteien inzwischen mehr oder weniger sozialdemokratische Inhalte nach, so dass eine mobilisierende Profilierung für die SPD schwieriger geworden ist als früher.

Hinzu kommt, dass unsere Partei mehr als andere unter einer sehr kritischen Allgemeinstimmung in der Bevölkerung leidet. Die Menschen haben mehrheitlich das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft nicht gerecht zugeht und sie vom Aufschwung nicht persönlich profitieren – trotz relativ hohem Wirtschaftswachstums, deutlich gesunkener Arbeitslosigkeit und inzwischen wieder stärker steigender Löhne. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt eine Reihe von Skandalen in einzelnen Wirtschaftsunternehmen und völlig überzogene Gehaltssteigerungen und Abfindungen für Spitzenmanager, die das Vertrauen in unsere soziale Marktwirtschaft aushöhlen. Tatsächliche Erfolge sozialdemokratischer Regierungspolitik werden deshalb subjektiv weniger wahrgenommen. Auch die Union hat vor diesem Hintergrund mit schlechten Meinungsumfragen zu kämpfen.

Das gegenwärtige Umfragetief bedeutet aber noch lange nicht, dass die SPD ihren Charakter als Volkspartei verliert. Dafür ist unsere Substanz viel zu groß. Der Abstand zwischen SPD und Union war zudem unter Schröders Zeiten teilweise sogar größer und konnte bei der letzten Bundestagswahl fast vollständig aufgeholt werden. Aber wahr ist: die Zeiten, in denen die meisten Wählerinnen und Wähler langfristig an eine Partei gebunden bleiben, sind wohl endgültig vorbei. Alle Parteien sind in ihren Ergebnissen stark stimmungsabhängig.

Wie kann es nun gelingen, die Stimmung für die SPD wieder positiver zu gestalten und verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen? Ich sehe vor allem 9 Punkte, die zu einem Wiedererstarken der Sozialdemokratie führen können:

1. Regierungserfolge offensiv darstellen

Die SPD wird in der Öffentlichkeit als Regierungspartei unter Wert gehandelt. Obwohl wir uns in der Großen Koalition in weit mehr Punkten durchgesetzt haben als die Union (weshalb die Kanzlerin in ihrer Partei zunehmend Ärger bekommt) ist der öffentliche Eindruck oft ein anderer. Das liegt zum einen daran, dass die Medien vor allem die Streitthemen (negativ) kommentieren, bei denen eine Einigung nicht möglich war, während einvernehmliche Beschlüsse nebenher laufen. Das verzerrt das Bild. Zum anderen kann aber auch die SPD insgesamt durch eine offensivere Darstellung dazu beitragen, die Erfolge kenntlicher zu machen. Ob bei den Themen Arbeitsmarkt, Finanzen, Familie, Bildung oder Klimaschutz: in den meisten Politikfeldern konnten wir klare sozial­demo­kratische Akzente setzen.

2. Politische Kultur der Argumente fördern

In unserer Mediengesellschaft werden politische Meldungen leichtfertig skandalisiert, während die Komplexität politischer Entscheidungen ständig wächst. Allzu oft reagieren die Parteien auf eine oberflächlich geführte öffentliche Debatte mit zusätzlicher Polemik, um die Konkurrenz zu verunglimpfen und in den Medien Gehör zu finden. Der neue Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle hat deshalb zu Recht eine politische Kultur des Arguments angemahnt. Gerade eine langjährige Regierungspartei wie die SPD ist darauf angewiesen, dass Fakten und Argumente gehört werden.

3. Sich in der Großen Koalition profilieren – aber mit einem sachlichen Umgangston

Die Menschen in Deutschland haben meist den Eindruck, dass es innerhalb der Großen Koalition nur Zoff gibt, obwohl man tatsächlich über weite Strecken durchaus zu einer konstruktiven Zusammenarbeit gefunden hat. Die Koalitionspartner haben in der Vergangenheit durch gegenseitige polemische Attacken selbst zu diesem negativen Bild beigetragen. Selbstverständlich muss man sich gerade in einer Großen Koalition auch gegeneinander profilieren, zumal diese sowohl bei Union als auch SPD das ungeliebte Kind einer Zwangsehe ist. Aber es kommt auf den Ton an. Durch gegenseitiges Herunterreden der Erfolge stärkt man am Ende nur die Opposition.

Hinzu kommt: Niemand kann (und sollte) heute ausschließen, dass es auch nach der nächsten Bundestagswahl eine Große Koalition geben könnte – wenn es nämlich erneut zu anderen Konstellationen aufgrund des Wahlergebnisses oder tiefer gehender Meinungsunterschiede nicht reicht.

4. Glaubwürdige Haltung zur Linkspartei konsequent und gelassen umsetzen

Der Umgang mit der Linkspartei fällt der SPD zwangsläufig schwer. Schließlich ist diese mehr oder weniger explizit gegen die SPD gegründet worden. Und einige ihrer Mitglieder waren früher selbst Sozialdemokraten. Die SPD darf es nicht tatenlos zulassen, dass die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei für immer verloren sind und langfristig nur noch Große Koalitionen oder Koalitionen ohne die SPD möglich sein könnten. Deshalb müssen wir sie möglichst zurückgewinnen. Wenn dies mittelfristig nicht gelingt, kommt es darauf an, ob sich die Linkspartei zu einer seriösen Partei entwickelt, die auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Dann (und nur dann) wird man eine Zusammenarbeit nicht grundsätzlich und für alle Zeiten ausschließen können. Das muss man auf den unterschiedlichen Ebenen von Fall zu Fall entscheiden, auch wenn es kompliziert ist.

Umso wichtiger bleibt, dass die Wählerinnen und Wähler immer vor einer Wahl Bescheid wissen müssen, was grundsätzlich möglich ist und was nicht. Deshalb war das Beispiel Hessen so fatal, wo Andrea Ypsilanti sich nicht an ihr vor der Wahl gegebenes Wort halten wollte. Ich denke, für alle war der erlittene Glaubwürdigkeitsverlust ein abschreckendes Beispiel, aus dem man lernen wird.

Im Bund gilt, mit Sicherheit auch nach der nächsten Bundestagswahl: mit der Linkspartei ist keinerlei Regierungszusammenarbeit möglich. Weil die inhaltlichen Positionen zu weit auseinander liegen und Die Linke sich dort bewusst als reine Protestpartei geriert. Das bedeutet aber nicht, dass man jedes Mal einen Aufschrei machen muss, wenn einzelne Abgeordnete miteinander sprechen. Mehr Gelassenheit kann dazu beitragen, der Linkspartei ihren Nimbus als etwas Einzigartiges zu nehmen, wovon sie derzeit eher profitiert. Stattdessen sollte man ihre Inhalte glasklar kritisieren.

5. „Agenda 2010“ differenziert weiterentwickeln

Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Debatte über die SPD ist meist die Politik der „Agenda 2010“. In der Gesellschaft wie in der SPD gibt es hierüber unterschiedliche Auffassungen. Dabei hat selbst Gerhard Schröder deutlich gemacht, dass die Agenda 2010 nicht die 10 Gebote sind.

Die SPD sollte die Erfolge der Agenda 2010 selbstbewusst herausstellen, etwa ihren Beitrag zu dem guten Wirtschaftswachstum, dem enormen Abbau der Arbeitslosigkeit aber auch zu der stärkeren Hinwendung zu den Themen Familie, Betreuung, Bildung und Forschung. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Politik, von den Menschen als ungerecht empfundenen Maßnahmen selbstkritisch zu hinterfragen. Es war deshalb richtig, einzelne Korrekturen vorzunehmen, ohne dabei die große Linie zu verlassen. Die Beschlüsse des Hamburger Bundesparteitages der SPD sind eine gute Grundlage zu einer differenzierten Entwicklung, die angemessen ist.

6. Sozialdemokratische Inhalte geschlossen vertreten

Das Ansehen einer Partei hängt ganz wesentlich davon ab, ob sie als einig oder zerstritten wahrgenommen wird. Die SPD muss alles daran setzen, sozialdemokratische Inhalte auf allen Ebenen geschlossen zu vertreten. Unsere lebhafte Diskussionskultur ist einerseits eine Stärke. Sie darf am Ende aber nicht verdecken, dass wir in den wesentlichen Inhalten einiger sind als etwa die Union.

7. Starkes Führungsteam präsentieren

Zu einer guten Politik gehört eine überzeugende Führungscrew, die diese gemeinsam vertritt. Insofern hätte in der SPD in den letzten Monaten sicher einiges besser laufen können. Ich gehe aber davon aus, dass man nun noch stärker an einem Strang zieht und dies auch nach außen entsprechend dokumentiert. Kurt Beck hat unsere solidarische Unterstützung als Parteivorsitzender, der zusammenhält. Und Frank-Walter Steinmeier ist ein starker Vizekanzler und Außenminister. Im Team mit anderen werden sie gemeinsam erfolgreich sein. Ich bin davon überzeugt, dass auch die Kanzlerkandidatenfrage rechtzeitig zu einer guten Lösung gebracht wird. Darüber muss man jetzt überhaupt nicht weiter spekulieren, auch wenn es ein Lieblingsthema der Medien ist.

8. Die ganze Breite des Spielfelds nutzen

Die SPD war in Wahlkämpfen immer dann stark, wenn es ihr gelang, Stammwähler zu mobilisieren und gleichzeitig Wechselwähler der Mitte für sich zu überzeugen. Das muss (und wird) sich auch im zukünftigen Wahlprogramm widerspiegeln.

9. Menschen überzeugen

Die SPD ist nicht ohne Fehler und Widersprüche. Aber sie bleibt die Partei, die wirtschaftliche Dynamik, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit am besten miteinander verbindet. Es geht uns darum, die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft zurückzudrängen und zugleich ihre wirtschaftliche und ökologische Zukunftsfähigkeitzu sichern. Deshalb stehen wir für eine innovative Wirtschaft, stärkere Investitionen in den Klimaschutz sowie die Köpfe unserer Kinder und ein gerechtes Steuer- und Abgabensystem, bei dem die Starken mehr schultern müssen als die Schwachen.

Wenn es uns gelingt, die Wählerinnen und Wähler von unseren politischen Konzepten zu überzeugen und dabei unsere eigenen Positionen selbstbewusst und geschlossen vertreten, werden wir wieder erfolgreich sein. Deutschland braucht eine starke Sozialdemokratie!