Artikel von Martin Dörmann zur Diskussion um die Bundestagsdiäten aus der Berlin Depesche Nr. 44.

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Abgeordnete sind verfassungsrechtlich verpflichtet, selbst über ihre Bezüge zu entscheiden. Das schafft beinahe zwangsläufig Ärger. Es ist schwierig, das richtige Verhältnis zwischen Angemessenheit und Vermittelbarkeit zu finden.

Kaum ein Thema produziert mit schöner Regelmäßigkeit so viel Frust wie die Frage der Abgeordnetendiäten. Und zwar bei allen Beteiligten.

Selbstbedienung oder Selbstverpflichtung?

Es fängt mit dem Vorwurf an, die Abgeordneten betrieben Selbstbedienung, weil sie über die eigenen Bezüge selbst entscheiden.

Das ist einerseits unfair, weil der Bundestag nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ja gerade verpflichtet ist, per Gesetz zu entscheiden, auch wenn viele Abgeordnete froh wären, diese Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen.

Andererseits belegen zahlreiche Nullrunden in der Vergangenheit, dass die Wirkung eher bremsend ist, gerade weil man immer im Brennglas der Öffentlichkeit steht. So ist die Abgeordnetenentschädigung in den 10 Jahren bis zum Stichtag 1. April 2008 insgesamt um moderate 9,2 % angestiegen, also unterhalb der Inflationsrate von 14,8 %, während der Gehaltstarifindex in dieser Zeit um 23,16 % gestiegen ist. Die Erhöhungen bewegen sich somit im relativen Gleichschritt mit den Beamtenbezügen der einschlägigen Besoldungsgruppe B 6 (9,3 %) und liegen nur leicht über den Rentenanpassungen (9,0 %). Es sind also weniger als 1 Prozent jährlich. Das wird aber in keiner Zeitung geschrieben, so dass der öffentliche Eindruck fast durchweg ein anderer ist.

Was kann eine Unabhängige Kommission – und was nicht?

Es stimmt nicht, wie teilweise behauptet wird, dass die Entscheidung durch eine Grundgesetzänderung auf eine Unabhängige Kommission delegiert werden kann. Eine solche könnte allenfalls beratend tätig sein. So wie zuletzt 1993 die „Kissel-Kommission“ unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Prof. Kissel. Sie hat Vorschläge zu Änderungen des Abgeordnetenrechts erarbeitet, die 1995 auch in neue Gesetzesbestimmungen eingeflossen sind. Die elf Mitglieder dieser vom Bundestag eingesetzten „Unabhängigen Kommission“ repräsentierten ein breites Spektrum verantwortlicher Persönlichkeiten, von einem Betriebratsmitglied über einen ehemaligen Bundesverfassungsrichter bis hin zur Präsidentin des Bundes der Steuerzahler.

Die „Kissel-Kommission“ führte aus, dass die bindende Entscheidung einer Unabhängigen Kommission selbst durch eine Grundgesetzänderung nicht herbeigeführt werden könnte:

„Auch die Unabhängige Kommission hält eine solche Grundgesetzänderung für ausgeschlossen; sie zu beschließen dürfte selbst dem Verfassungsgeber versagt sein. (…) Nicht nur die Grundsätze eines demokratischen Wahlverfahrens, sondern auch die Ausgestaltung des vom Wähler mit dem Wahlakt dem Abgeordneten verliehenen Status muss dem Kerninhalt des Demokra-tieprinzips zugerechnet werden. Eine Übertragung der diesen Status maß-geblich mitgestaltenden Entscheidung über die Höhe der Entschädigung auf eine demokratisch nicht in gleicher Weise legitimierte Institution – und sei sie von der Öffentlichkeit auch als noch so für sinnvoll angesehen – durchbricht die in Artikel 20 Grund-gesetz vorgeschriebenen Grundsätze. Sie könnte deshalb, wie die Kommission nach sorgfältiger Prüfung meint, kaum vor Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz Bestand haben.“

Gerade weil niemand den Abgeordneten die letzte Verantwortung für die eigenen Bezüge abnehmen kann, kommt es darauf an, jeweils eine angemessene und vermittelbare Entscheidung zu treffen. Das allerdings ist ein ewiges Dilemma. Denn: Welche „Diäten“ sind angemessen? Und was ist der Bevölkerung gleichzeitig vermittelbar?

Angemessene Orientierungsgröße?

Die erwähnte Kisselkommission hat in ihrem Bericht ausgeführt, dass die aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien für die Bemessung der Höhe der Entschädigung sind:

„1. die Bedeutung des Amtes im Blick auf die Aufgabe, die der verfassungsrechtliche Auftrag dem Parlamentarier überträgt,

2. die mit der Erfüllung dieses Auftrages verbundene Verantwortung und Belastung, die in Bund und Ländern sicherlich verschieden zu gewichten sind,

3. der Rang des Amtes des Abgeordneten im Verfassungsgefüge von Bund und Ländern.“

Der Bundestag hat daraus bereits 1995 den Schluss gezogen, die Bezüge an vergleichbare Tätigkeiten im öffentlichen Bereich anzulehnen, um einen objektiven Maßstab – auch für zukünftige Erhöhungen – zu erhalten und so dem Vorwurf der „Selbstbedienung“ entgegenzuwirken. Als Orientierungsgröße stand deshalb seit 1995 (!) das Einkommen von kommunalen Wahlbeamten auf Zeit und Bundesrichtern in § 11 des Abgeordnetengesetzes.

Diese Orientierungsgröße scheint mir angemessen gewählt. Denn ein einzelner Bundestagsabgeordneter repräsentiert einen Wahlkreis von fast 300.000 Einwohnern, sein Mandat ist mit einer besonderen Verantwortung und einem verfassungsrechtlich geschützten Auftrag ausgestattet und er hat in der Regel eine 60- bis 70-Stundenwoche, mit zahlreichen Terminen auch am Wochenende. Dass man fast die Hälfte des Jahres in Berlin sein muss, ist in der Regel bezogen auf das Familienleben auch kein uneingeschränktes Vergnügen.

Das Gegenargument des Profi-Parteienkritikers von Armin, die Tätigkeiten seien deshalb nicht vergleichbar, weil einem Bundestagsabgeordneten Nebentätigkeiten im Gegensatz zum Richter erlaubt seien, überzeugt noch nicht. Zum einen schon deshalb, weil 80 Prozent der Bundestagsabgeordneten überhaupt keiner bezahlten Nebentätigkeit nachgehen. Zum anderen muss man bedenken, dass ein Abgeordneter nur auf 4 Jahre gewählt ist und meist das Risiko eingeht, aus seinem angestammten Beruf herauszugehen oder zumindest auf Chancen des Weiterkommens verzichtet. Schon aus diesem Grunde muss es jedem überlassen bleiben, sich ein zweites Standbein aufrecht zu erhalten. Wichtig ist Transparenz dabei.

Schließlich wollen wir am Ende doch alle Abgeordnete im Bundestag sehen, die möglichst unabhängig agieren können und aus unterschiedlichen Berufen kommen. Deshalb macht auch eine Orientierung der Bezüge an das Einkommen oder die Einkommenszuwächse bei „Hartz IV“-Empfängern wenig Sinn, wie sie teilweise diskutiert wird.

Was ist vermittelbar?

Nun ist die 1995 ins Gesetz geschriebene Orientierungsgröße bislang überhaupt noch nicht erreicht worden, weil man sich vor der öffentlichen Meinung scheute, die Diätenerhöhungen stets kritisch bewertet. Womit wir beim zweiten Kriterium, der Vermittelbarkeit wären. Einerseits müssen Abgeordnete bedenken, wie ihre Diätenentscheidung von der Bevölkerung aufgenommen wird, die ja meist deutlich weniger Einkommen hat. Hier gilt es, sensibel zu sein. Sie wären aber auch keine guten Volksvertreter, wenn sie nicht bereit sind, zwar unpopuläre, aber für richtig gehaltene Gesetze zu verabschieden. Diesen schmalen Grad gerade bei der Diätenfrage zu meistern, ist schwierig. Am Beispiel der jüngsten Anpassungen lässt sich erläutern, was gut und was schlecht gelaufen ist.

Gesetzesänderung 2007

2007 hat der Bundestag folgende Änderungen beim Abgeordnetengesetz beschlossen:

Der Altersversorgungsanspruch wird deutlich abgesenkt, und zwar um ein Sechstel (2,5 statt 3 Prozent Steigerung pro Jahr der Bundestagszugehörigkeit).

Die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das 67. Lebensjahr („Rente mit 67“) wird wirkungsgleich umgesetzt.

Als Orientierungsgröße für die Abgeordnetenentschädigung soll künftig das monatliche Grundgehalt der Bürgermeister kleiner Städte und von Gemeinden mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern (Beamtenbesoldungsgruppe B 6) und der obersten Bundesrichter (Richterbesoldungsgruppe R 6) gelten, und zwar ohne die anteiligen Sonderzahlungen, so dass die Monatsbezüge in zwei Schritten bis zum 1. Januar 2009 auf 7.668 € angehoben werden.

Die Absenkung des – zu Recht umstrittenen – Altersversorgungsanspruches war prozentual sogar größer als die Anpassung der Diäten, so dass langfristig Einsparungen im Bundeshaushalt erzielt werden. Insoweit war die Entscheidung in Ordnung und gut vertretbar. Auch ist die zugleich beschlossene Tarifanpassungsregelung sinnvoll, um zukünftige Diätenerhöhungen an einen objektiven und gerechten Maßstab zu binden, nämlich an die Erhöhungen bei den kommunalen Wahlbeamten und Bundesrichtern.

Der Fehler wurde dann allerdings kürzlich seitens der Führung der beiden Koalitionsfraktionen gemacht, indem man mit der Tarifanpassung nicht bis 2010 warten wollte, wie es noch in der Gesetzesbegründung von 2007 angekündigt war. Damit hätte es 2009 eine doppelte Erhöhung gegeben. Es hätte klar sein müssen, dass dies in der breiten Bevölkerung nicht vermittelbar ist. Da fehlte es am notwendigen Fingerspitzengefühl, auch wenn formal korrekt gehandelt wurde. Die vier Kölner SPD-Bundestagsabgeordneten haben deshalb frühzeitig einen Verzicht auf diese zusätzliche Diätenerhöhung gefordert.

Aufgrund des Drucks seitens der Öffentlichkeit und insbesondere vieler SPD-Abgeordneter wurde das Vorhaben dann ja bekanntlich abgesagt. Das ist gut so. Es ist aber zugleich bedauerlich, dass die öffentliche Diskussion wieder einmal eher undifferenziert war. Medial wurden manche fragwürdigen Pauschalurteile einseitig bedient, statt die Frage der Abgeordnetenbezüge sachlich und angemessen zu erörtern.

Für die Zukunft würde ich mir eine offene, tiefer gehende Debatte wünschen, die nicht in Stimmungen stecken bleibt. Das wäre ein guter Beitrag für die demokratische Kultur in unserem Lande und könnte neues Vertrauen aufbauen. Alle Beteiligten sollten daran mitarbeiten – Abgeordnete, Parteien, Medien sowie Bürgerinnen und Bürger.