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Rede von Martin Dörmann in der Plenardebatte des Deutschen Bundestages am 6. April 2006.

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Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In ihrem Antrag fordert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, ihre Strategie zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen zu revidieren. Bevor ich auf das konkrete Thema dieser Debatte, die Telekom, zu sprechen komme, möchte ich zunächst auf diesen allgemeineren Punkt etwas näher eingehen. Er dokumentiert nämlich, dass die PDS wirtschaftspolitisch einen rückwärts gewandten Kurs fährt. Wir sollten das Thema Privatisierung differenziert und nicht ideologisch diskutieren.
Es gibt Bereiche der Daseinsvorsorge, insbesondere auf kommunaler Ebene, in denen es unter vielerlei Gesichtspunkten richtig sein kann, an öffentlichen Unternehmen festzuhalten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

etwa wenn es um die sichere Versorgung mit Wasser, die Organisation der Müllabfuhr, die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs oder eine sozial orientierte Wohnungsversorgung vor Ort geht. Auf diesen Feldern geht es um Güter und Dienstleistungen, für deren unmittelbares Zur-Verfügung-Stellen die öffentliche Hand in einer besonderen Verantwortung steht und bei denen die kommunale Selbstverwaltung gefragt ist. Hier handelt es sich um örtlich begrenzte Bereiche, die sich einem internationalen Wettbewerb nicht stellen müssen.
Prinzipiell anders sieht es jedoch bei einigen Unternehmen aus, die sich bisher noch ganz oder teilweise im Eigentum des Bundes befinden und die in einem internationalen, heutzutage sogar oft in einem globalen Wettbewerb stehen. Hiermuss sich der Staat in besonderer Weise fragen, welche Aufgaben besser von ihm selbst und welche besser von einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen erfüllt werden können.
Die Bundesregierung verfolgt seit vielen Jahren, unterstützt von unterschiedlichen Koalitionen im Parlament, eine konsequente Privatisierungspolitik. Sie orientiert sich dabei an folgenden grundlegenden Zielen: erstens einer effizienten Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft, zweitens der besseren Kapitalausstattung der Unternehmen, drittens – damit verbunden – der größeren Möglichkeiten für zukunftsweisende Investitionen und viertens der Schaffung von mehr Marktorientierung und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Dieser Weg war erfolgreich.

(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck (SPD)

Ehemalige Bundesunternehmen sind heute an in- und ausländischen Börsen notiert und behaupten sich auf den Weltmärkten. Dazu zählen neben der Deutschen Telekom insbesondere Volkswagen, die Lufthansa, Eon und die Deutsche Post AG. Es gibt heute wohl kaum noch jemanden – von der PDS abgesehen -, der behaupten würde, die Privatisierung dieser Unternehmen sei falsch gewesen. Vielmehr haben diese Unternehmen von der Privatisierung profitiert und stehen heute im Markt alles in allem sehr gut da. Und genau darum geht es: die Bedürfnisse des Marktes und der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge zu behalten – und nicht in erster Linie die des Staatsapparates.
Durch die Privatisierungspolitik profitiert gleichzeitig der Bundeshaushalt, insbesondere durch die Platzierung von Aktien auf dem Kapitalmarkt. Dieser Privatisierungskurs ist deshalb ordnungspolitisch richtig, wirtschaftlich sinnvoll und bringt haushaltspolitisch Entlastung. Angemerkt sei, dass hierdurch letztendlich zusätzliche Investitionen des Bundes ermöglicht werden, beispielsweise in Bildung, in Forschung und Entwicklung oder auch zum sozialen Ausgleich. Klar ist: Wer diesen Weg der Privatisierung geht, muss dafürin Kauf nehmen, dass er den Einfluss auf unternehmerisches Handeln verliert. Wenn die Unternehmen erfolgreich sind – was bei den bisherigen Privatisierungen der Fall ist -, muss dies jedoch kein Nachteil sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu der im Antrag konkret angesprochenen Deutschen Telekom AG. Die Privatisierung der Telekom ist zu Recht mit einer Marktöffnung im Bereich der Telekommunikation verbunden gewesen; ihre Monopolstellung wurde bewusst beseitigt. Inzwischen werden die Arbeit der Regulierungsbehörde und die Erfolge dieser Marktöffnung allgemein anerkannt. Seit der Liberalisierung sind beispielsweise die Telefonkosten drastisch gesunken: Heute kann man bei bestimmten Anbietern für 1 Cent die Minute ein Ferngespräch führen oder – gegen einen gewissen Aufpreis, im Rahmen einer Flatrate – ohne Verbindungskosten telefonieren oder im Internet surfen. Das freut die Verbraucherinnen und Verbraucher, die für weniger Geld mehr Leistung erhalten.

Konkurrenz und sinkende Preise haben für das betroffene Unternehmen nicht nur Vorteile. Gerade die Telekom hat sich einem besonders harten internationalen Wettbewerb zu stellen. Ein Unternehmen, das zuvor eine Monopolstellung hatte, verliert bei einer Marktöffnung zunächst zwangsläufig Marktanteile. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch erwünscht, um Wettbewerb erst zu ermöglichen. Dies lässt sich in den Berichten der Bundesnetzagentur eindrucksvoll nachlesen: So hatte die Telekom an den Gesprächsminuten in Deutschland 1998 noch einen Anteil von 94 Prozent. 2005 waren es nur noch 48 Prozent.
An dieser Stelle will ich auch ein Problem offen ansprechen, das zu Beginn der Privatisierung unterschätzt worden ist: Seinerzeit sind die meisten Experten davon ausgegangen, dass der Telekommunikationsmarkt eine dauerhafte Jobmaschine mit ständig wachsender Beschäftigtenzahl ist. Der technische Fortschritt ist jedoch noch rasanter gewesen als erwartet, sodass weniger Menschen für die neue Vielfalt von Diensten und Produkten benötigt werden als angenommen. Zum Ende des Jahres 2004 waren im Telekommunikationsdienstemarkt 225.000 Personen beschäftigt und damit nur unwesentlich mehr als 1998. Die Erwartung, dass die Telekom selbst bei Verlust von Marktanteilen eher mehr Arbeitskräfte braucht, hat sich leider nicht bewahrheitet. Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Pläne der Telekom zu einem Personalabbau zu diskutieren. Es ist grundsätzlich problematisch, wenn man einzelne unternehmerische Entscheidungen kommentiert. Dennoch möchte ich für die SPD-Fraktion ausdrücklich zum Ausdruck bringen, dass wir hoffen und erwarten, dass sich Konzernleitung und Gesamtbetriebsrat im Rahmen des geplanten Personalabbaus auf ein sozialverträgliches Konzept einigen werden.
Nun zu der konkret angesprochenen Entscheidung der Telekom, Callcenterstandorte zu schließen. Ich möchte zunächst einmal hervorheben, dass das Aktienrecht der Bundesregierung keine Möglichkeit gibt, eine Einzelmaßnahme des Unternehmensvorstandes direkt zu beeinflussen – auch wenn der Bund Minderheitsanteile an der Deutschen Telekom hält; von daher läuft die konkrete Forderung im Antrag der Linken ins Leere. Auch aus diesem Grund wird die SPD-Fraktion ihn ablehnen. Worum geht es in der Sache? Die Telekom verfolgt ein Konzept der Zusammenlegung von Callcenterstandorten und damit eine stärkere Zentralisierung dieses Bereiches, in dem insgesamt 15.000 Beschäftigte tätig sind. Durch größere Belegschaften sollen Effizienzgewinne und höhere Qualitätsstandards gesichert werden, wie es bei Konkurrenten zum Teil schon gemacht worden ist. Die von der Verlagerung ihres Standortes betroffenen Beschäftigten erhalten allerdings das Angebot, an einem anderen Standort weiterbeschäftigt zu werden. Das ist natürlich insbesondere in ländlichen Gegenden problematisch, in denen die Entfernung zum nächsten Standort 200 Kilometer oder sogar mehr beträgt; denn es sind insbesondere viele Frauen mit Kindern betroffen, die womöglich auch noch in Teilzeit arbeiten. Ihnen ist ein Ortswechsel mit der Familie oft faktisch nicht möglich.
Aus diesem Grunde war das Callcenterkonzept der Telekom zwischen der Konzernführung und dem Gesamtbetriebsrat hoch umstritten. In der letzten Woche konnte aber – das haben Sie unterschlagen – eine Einigung zwischen beiden erzielt werden. Wie wir bereits gehört haben, ist danach nicht mehr, wie ursprünglich geplant, die Schließung von 45 Callcenterstandorten, sondern eben nur noch von 36 vorgesehen; 60 Standorte bleiben erhalten. Ich sage deutlich: Unter den gegebenen Umständen ist das gut für die Beschäftigten und sicher auch ein Erfolg der Verhandlungen des Gesamtbetriebsrates und von Verdi.

(Beifall bei der SPD)

Ich begrüße das ausdrücklich auch im Namen vieler meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich um die Sorgen der Beschäftigten, die ja berechtigt sind, gekümmert und viele Gespräche geführt haben. Unter den gegebenen Umständen sind wir froh, dass eine Einigung erfolgt ist. Sie ist im Interesse der Beschäftigten und des Unternehmens, sie stärkt die Konkurrenzfähigkeit der Telekom und sichert damit Arbeitsplätze langfristig. Wir nehmen dies als ein positives Signal auch für zukünftige Verhandlungsrunden der Tarifpartner.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die SPD-Fraktion steht zum erfolgreichen Weg der Privatisierung. Weder Parlament noch Regierung können direkt in die Unternehmensstrategie privatisierter Unternehmen eingreifen und sollten das auch nicht. Dennoch gilt: Einen konstruktiven Weg unterstützen wir gerne auch politisch. Deutschland braucht Wettbewerb und eine starke Telekom als unseren globalen Player im Bereich der Telekommunikation und die Telekom braucht marktgerechte Lösungen, mit denen gleichzeitig die Belange der Beschäftigten angemessen berücksichtigt werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)