Standpunkt aus Berlin Depesche Nr. 104 (April 2017)

Martin Schulz begeistert Menschen. Seine Kanzlerkandidatur und die Aufbruchstimmung in der SPD versprechen einen spannenden Bundestagswahlkampf

In den vergangenen Jahren hatten wir in der SPD-Bundestagsfraktion mehrmals  Meinungsforschungsinstitute zu Gast. Besonders bemerkenswert fanden wir die wiederholten Hinweise, dass die SPD prinzipiell durchaus ein ähnliches Wählerpotenzial habe wie die Union. Dennoch blieben wir in den Umfragen meist im 25-Prozent-Bereich, mit gehörigem Abstand zu CDU/CSU. Und das, obwohl wir doch nach allgemeinem Urteil viele sozialdemokratischen Projekte in der Großen Koalition umsetzen konnten: vom Mindestlohn bis hin zu mehr Geld für Infrastruktur, Bildung und Kommunen.

Die Ausgangslage zur Bundestagswahl hat sich mit der Verkündung der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz dramatisch geändert. Seit Wochen begegnen sich Union und SPD auf Augenhöhe, ebenso Schulz und Merkel.

Die Begeisterung für Martin Schulz ist riesig. Innerhalb von kaum drei Monaten sind 13.000 Menschen in die SPD eingetreten – mehr als die Piraten heute noch insgesamt an Mitgliedern haben. Sowohl innerhalb der Partei als auch bei Bürgergesprächen wird täglich deutlich, dass Schulz für viele eine Hoffnung auf Bewegung, Aufbruch und mehr soziale Gerechtigkeit darstellt. Und nicht zuletzt auf eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung.

In geheimer Wahl hat der SPD-Parteitag Martin Schulz mit 100 Prozent Ja-Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Ein historisches Rekordergebnis! Es belegt die hohe Zustimmung zum Kanzlerkandidaten ebenso wie den Siegeswillen und die inhaltliche Geschlossenheit der Partei. Alles wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wahlkampf.

Ganz anders die Stimmungslage in der Union. Von Begeisterung für Merkel ist wenig zu spüren. Schon die lustlose Vorstellung ihrer Kanzlerkandidatur gemeinam mit Seehofer sprach Bände. Hätte man den Ton weggedreht,  es wäre der Eindruck entstanden, beide verkünden gerade ihre endgültige politische Scheidung. Offenbar sind die ewigen internen Scharmützel der letzten Monate bei beiden nicht folgenlos geblieben. Zudem wirkt Merkel auch auf internationaler Ebene zunehmend blass und wie eine Getriebene zwischen Brexit und Erdogan.

Andererseits hat die Saarlandwahl mit dem Sieg der CDU-Ministerpräsidentin gezeigt, dass sich unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Seiten der CDU zusätzliche Mobilisierungspotenziale bei bisherigen Nichtwählern ergeben können. Alles spricht also dafür, dass wir vor einer spannenden Bundestagswahl mit völlig offenem Ausgang stehen.

Die personellen Alternativen sind klar: auf der einen Seite die oft präsidial und emotionslos agierende Kanzlerin. Auf der anderen Seite Martin Schulz, der seine Stärke gerade in der Hinwendung zu den Menschen zieht. Aus langjähriger Erfahrung weiss ich, dass seine Empathie echt ist. Deshalb ist er authentisch und glaubwürdig. Ein großes Pfund.

Innenpolitisch beherrschen schon heute seine Vorschläge für mehr Gerechtigkeit und Respekt die Debatte. Und als langjähriger Präsident des Europaparlaments bringt er Erfahrungen mit, die wichtig sind.

Europa steht an einem Scheideweg. Zunehmender Nationalismus und Rechtspopulismus gefährden das Einigungswerk. Dabei brauchen wir gerade jetzt eine starke EU. Denn wir dürfen die Internationale Bühne nicht den  Trumps, Erdogans und Putins dieser Welt  überlassen.

Martin Schulz zitiert gerne die Worte Willy Brandts in dessen Regierungserklärung 1969: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen.“ In dem Satz steckt viel. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ebenso wie eine einigungs- und friedensorientierte Politik.

Für diese Werte und für eine lebendige Demokratie steht auch der neue Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier lässt seine SPD-Mitgliedschaft während seiner Amtszeit ruhen und wird sebstverständlich überparteilich arbeiten. Aber als Sozialdemokrat freut man sich dennoch, dass nun einer von uns oberster Repräsentant des Landes ist. Das hätte noch vor wenigen Monaten kaum einer für möglich gehalten.

Viel Glück und Erfolg in Deinem neuen Amt, lieber Frank!