Rede von Martin Dörmann in der Plenardebatte am 3. April 2014

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Flughäfen haben zwei Seiten. Auf der einen Seite sind sie unverzichtbar für eine mobile Gesellschaft. Sie verbinden Städte, Länder und Regionen. Sie schaffen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Zigtausenden Menschen verhelfen sie zu einem sicheren Einkommen. Reisende erleben die Möglichkeit, mit einem Flieger an unzählige Orte dieser Welt zu fliegen, als eine persönliche Freiheit, die sie nicht missen wollen.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Menschen, die von einem Flughafen gar nicht begeistert sind, weil sie nämlich unmittelbar in seiner Nähe wohnen und vom Fluglärm betroffen sind. Wer von lauten Flugzeugen um den Schlaf gebracht wird, erlebt dies als Einschränkung seiner Freiheit, als Verlust von Lebensqualität und möglicherweise sogar als Schaden an seiner Gesundheit.

Es ist vor diesem Hintergrund Aufgabe nachhaltiger Politik, wirtschaftliche Interessen und das Bedürfnis nach Mobilität auf der einen Seite und den notwendigen Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm und Gesundheitsschäden auf der anderen Seite in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

Gerade dies ist ein zentrales umwelt- und verkehrspolitisches Anliegen der Großen Koalition. In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Vielzahl von Maßnahmen verständigt, um Fluglärm zu reduzieren, Lärmschutz zu verbessern, und zwar auch und gerade in den Nachtstunden. Dazu gehören beispielsweise lärmreduzierende flugbetriebliche Verfahren, eine Verschärfung der Lärmschutzgrenzwerte für neue Flugzeuge, lärmabhängige Flughafenentgelte, die wir im Luftverkehrsgesetz verankern wollen. Außerdem werden wir die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes in dieser Legislaturperiode überprüfen.

Auch bei der Festlegung von Flugverfahren wollen wir den Lärmschutz verbessern. Technische Innovationen im Luftverkehr und eine schnelle Modernisierung der Flugzeugflotten mit leisen Flugzeugen sollen diese Maßnahmen flankieren und verstärken. Wir wollen also alle angemessenen Maßnahmen ergreifen, um Menschen vor negativen Einflüssen eines Flughafens zu schützen. Ich freue mich, dass damit ganz viele Punkte Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben, die die SPD-Bundestagsfraktion in der vergangenen Wahlperiode in einem besonderen Dialogprojekt mit dem Titel „Infrastrukturkonsens“ in ein Gesamtkonzept gegossen hat. Vieles davon findet sich im Koalitionsvertrag wieder.

Bei allen notwendigen Bemühungen um verstärkten Lärmschutz müssen Flughäfen aber auch die Möglichkeit haben, dringende Verkehrsbedürfnisse abzudecken und wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Zudem braucht Deutschland einige Flughäfen, die auch nachts angeflogen werden können. Daher haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, keine generellen Betriebsbeschränkungen mit einem Nachtflugverbot vorzunehmen. So weit unsere Grundsatzposition.

Wie sieht es nun bezüglich des neuen Flughafens Berlin Brandenburg aus? Welche Regelungen wurden dort zum Schutz der Bevölkerung getroffen? Für den Flughafen BER gelten so strenge Grenzwerte für die Tagseite wie an keinem anderen internationalen Flughafen weltweit. Bevor ein Anspruch auf passiven Lärmschutz besteht, ist es ansonsten üblich, dass eine bestimmte Anzahl von Flugbewegungen über einem bestimmten Grenzwert liegt, nämlich in Deutschland üblicherweise über 55 dB(A), und zwar gemessen im Rauminneren der Wohnhäuser. Dies ist ein Lärmpegel, der etwa einer normalen Unterhaltung entspricht.

An den meisten Flughäfen wird eine bestimmte Anzahl von Flugbewegungen zugelassen, die über diesem Lärmereignis liegen können, beispielsweise 6 oder 16 Flugbewegungen. Diese Zahl lautet für Berlin: 0. Also bereits eine einzige Flugbewegung über diesem Lärmpegel innerhalb der verkehrsreichsten sechs Monate eines Jahres führt dazu, dass ein Anspruch auf passiven Lärmschutz besteht, beispielsweise eine entsprechende Fensterverglasung, die von der Flughafengesellschaft finanziert werden muss. Dies bedeutet mehrere 100 Millionen Euro Zusatzkosten für Lärmschutzmaßnahmen, die es an keinem anderen Flughafen gibt. Insgesamt wird mit Kosten für den Schallschutz von mehr als 700 Millionen Euro gerechnet. Das ist, wie wir finden, wirklich gut investiertes Geld für die Gesundheit der Menschen.

Zudem gibt es am Flughafen Berlin Brandenburg ein Nachtflugverbot in der Zeit von 0 bis 5 Uhr. Das Bundesverwaltungsgericht hat den entsprechenden Planungsergänzungsbeschluss ausdrücklich für rechtmäßig erklärt. In den Randzeiten abends und morgens darf zudem nur eine verminderte Anzahl von Flugzeugen starten oder landen. Den Bedarf hierfür hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings aus mehreren Gründen als „plausibel dargelegt“ bezeichnet, etwa weil Zeitverschiebungen und Streckenlängen bei Interkontinentalflügen eben Abflüge bis 23.30 Uhr oder Landungen ab 5.30 Uhr nötig machen.

Nun debattieren wir heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke, der eine Ausweitung des Nachtflugverbotes für den neuen Flughafen BER auf die Zeit von 22 bis 6 Uhr fordert. Es ist bereits ausführlich dargelegt worden, dass das vor dem Hintergrund geschieht, dass die Landesregierung Brandenburg nach einem erfolgreichen Volksbegehren eine entsprechende Position eingenommen hat.

Es ist auch zu respektieren, dass eine Landesregierung vor diesem Hintergrund und auch aufgrund einer kritischen Stimmung in der Bevölkerung sich dazu entschlossen hat, weitere Versuche zu unternehmen, um weitere Maßnahmen zum Lärmschutz zu erreichen und so die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.

Ja, es ist wahr, wir als Politik müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Bevölkerung insgesamt ‑ und aus guten Gründen ‑ kritischer mit Lärmbelastungen umgeht.

Eine offene Diskussion um das richtige Maß kann letztlich dazu beitragen, die Akzeptanz gerade auch von Flughäfen zu verbessern. In Abwägung aller Argumente kommt die Große Koalition insgesamt dennoch zu einem anderen Ergebnis als die Landesregierung Brandenburg. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken hier ab, und das möchte ich auch gerne noch einmal näher begründen:

Wir alle wissen um den schwierigen Weg, den der neue Flughafen bereits hinter sich hat. Er hat aber auch noch ein gutes Stück Weg vor sich. Es war ein ernsthaftes Ringen um einen breitangelegten Konsens, das seinerzeit zu der Nachtruhezeit von 0 und 5 Uhr im Planergänzungsbeschluss geführt hat, übrigens federführend erarbeitet vom zuständigen Landesverkehrsministerium in Brandenburg. Nach langen Jahren vor Gericht gibt es nun ein rechtskräftiges Urteil, das die Rechtmäßigkeit der gefundenen Regelung und damit auch ihre Angemessenheit bestätigt hat. Von daher können die beiden anderen Anteilseigner, nämlich Berlin und der Bund, sehr wohl gute Argumente dafür anführen, den bereits gefundenen Kompromiss konsequent weiterzuverfolgen.

Hinzu kommt, dass es äußerst zweifelhaft ist, ob selbst eine einvernehmlich von den Gesellschaftern beschlossene Ausweitung der Nachtruhezeit unter Zustimmung aller Anteilseigner rechtlich überhaupt haltbar wäre. Der Flughafen hat nämlich auf Grundlage des Planergänzungsbeschlusses eine Betriebspflicht in den Stunden außerhalb der festgelegten Nachtruhezeit von 0 bis 5 Uhr.

Selbst wenn sich die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung über eine Ausweitung der Nachtruhezeit einig wären, könnte eine Fluggesellschaft darauf klagen – mit Aussicht auf Erfolg ‑, in den Randzeiten, um die es heute geht, fliegen zu dürfen. Jede Änderung der im Planergänzungsbeschluss gefundenen Nachtruhezeit würde also zu neuer Rechtsunsicherheit führen und den wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens infrage stellen.

In einem Gutachten wurde errechnet, dass, wenn man die Nachtruhezeit auf die drei Randstunden ausdehnen würde, mit Mindereinnahmen von 40 Millionen Euro pro Jahr und einem Verlust von 8 000 Arbeitsplätzen zu rechnen wäre. Da die Zahl der Flugbewegungen prognostisch sogar noch höher ist, wird der Verlust wahrscheinlich noch höher ausfallen.

Ich will zudem daran erinnern, dass der Flughafen BER gerade deshalb außerhalb des Stadtgebiets neu geplant wurde, um dort die Möglichkeiten für ein Flugdrehkreuz zu schaffen, das den Menschen in Berlin und Brandenburg neue Reiseziele ermöglicht und die hohen – ja, die sehr hohen – Investitionskosten für alle Beteiligten rechtfertigt.

Wir alle wissen: Beim BER sind noch zahlreiche Probleme zu lösen. Wir sollten also dazu beitragen, die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens zu bewahren. Ansonsten droht ein Dauersubventionsbetrieb, der auch nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht letztlich um einen Dreiklang: Der Flughafen muss technisch funktionieren, er muss wirtschaftlich betrieben werden können, und die um ihn herum lebenden Menschen müssen konsequent und angemessen vor vermeidbarem Lärm geschützt werden. Auch wenn es in der heute diskutierten Frage offensichtlich Akzentunterschiede gibt, so bin ich doch hoffnungsvoll, dass am Ende des Tages alle Beteiligten, insbesondere die drei Anteilseigner, einen Weg finden werden, um gemeinsam zum Erfolg des Flughafens und zu einem guten Lärmschutz dort beizutragen.

Vielen Dank.