Standpunkt aus Berlin Depesche Nr. 102 (Dezember 2016)

In Zeiten großer Verunsicherung und Spannungen suchen viele Menschen nach einfachen Antworten und einem Frustventil. Das ist vordergründig verständlich – und zugleich kontraproduktiv. In einer komplexen Welt bringt Populismus keine Lösungen sondern verschärft Gegensätze und Probleme.

Es ist zu viel Wut in dieser Welt! Brexit-Befürworter sind wütend auf die EU. Trump-Wähler auf das „Establishment“. AfD- und Pegida-Anhänger auf etablierte Parteien. Erdogan auf seine Kritiker. Putin auf die NATO. Islamisten auf die freie westliche Welt.

Stimmungen statt Fakten beherrschen die politischen Debatten. Vermeintliche Sündenböcke werden gesucht und gefunden. Und so manche Autokraten stellen die eigene Macht vor dem Wohle der Gesellschaften. Werte, für die der Westen steht, geraten dabei unter zunehmenden Druck: internationale Zusammenarbeit, individuelle Freiheit, Toleranz und Solidarität.

Neben die Wut gesellt sich tiefe Verunsicherung darüber, ob wir vor einer guten Zukunft stehen. Terroristische Anschläge, kriegerische Konflikte und hohe Flüchtlingszahlen haben im vergangenen Jahr entscheidend dazu beigetragen. Hinzu kommen Globalisierung und Digitalisierung als langfristige Trends, die gesellschaftliche Entwicklungen immer dynamischer beeinflussen und beschleunigen. Euro- und Finanzkrise sind zwar in ruhigerem Fahrwasser, aber immer noch nicht endgültig überwunden. Das alles löst Sorgen aus, die nachvollziehbar und oftmals ja auch berechtigt sind.

Die globalen Trends für die Zukunft sind meist ambivalent. Automatisierung birgt riesige Chancen auf ein leichteres Leben und neue Arbeitsplätze, gefährdet aber auch bestimmte Jobs – und niemand kann garantieren, dass die Bilanz in jedem einzelnen Bereich positiv ist. Der weltweite Handel und die globale Kommunikation sind Impulsgeber für wirtschaftlichen Wohlstand und Freiheit – rufen aber auch Besorgnisse vor einer Ãœbermacht großer Konzerne gegenüber dem Primat der Politik hervor. Und die Entwicklung der Europäischen Union ist tief besorgniserregend. All diesen Zweifeln muss man sich stellen – und aktiv daran arbeiten, Dinge zu gestalten und positive Impulse zu setzen.

Populisten machen sich Verunsicherung über die Zukunft zu Nutze. Dabei gerieren sie sich in frecher Anmaßung als Vertreter „des Volkes“. Doch das sind sie nicht. Und sie bieten keine Lösungen, sondern wollen auf einer Woge der Emotionalisierung erfolgreich sein – oft an Fakten vorbei.

In Deutschland ist allerdings keineswegs ausgemacht, dass der Populismus dauerhaft erfolgreich sein wird. Zunächst nur eine Momentaufnahme, aber doch bemerkenswert: Im aktuellen Politibarometer vom 9. Dezember kommen Union und SPD bei der Stimmungslage (noch nicht gewichtet) auf zusammen 65 Prozent. Das sind nur rund 2 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl. Und innerhalb weniger Wochen verlor die AfD 3 Prozentpunkte.

Noch ist völlig ungewiss, wie die Bundestagswahl ausgeht. Stimmungen sind wechselhaft und von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Etwa wie die Integration von Flüchtlingen nach und nach gelingt, wie viele noch hinzukommen, welche politischen Entwicklungen in Europa und im Nahen Osten stattfinden oder ob neue Anschläge weitere Schockwellen aussenden. Entscheidend ist auch, wie wir in Deutschland die politische Debatte führen.

Die Antwort auf Populismus muss zwei Fehler vermeiden: Verunsicherung und Probleme zu leugnen Рund falschen Parolen von Populisten hinterherzulaufen. Es darf keine Fixierung auf sie geben. Stattdessen sind gefragt: L̦sungskompetenz und sozialdemokratische Antworten.

Die SPD steht für eine Politik, die Menschen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärkt. Durch eine Flüchtlingspolitik, die Integration ermöglicht und die Integrationsfähigkeit wahrt. Durch eine Bildungspolitik, die Chancengerechtigkeit herstellt. Durch eine moderne Gleichstellungs- und Familienpolitik. Durch mehr Gerechtigkeit bei Steuern und der sozialen Absicherung. Und auch durch Verbesserungen bei der öffentlichen Sicherheit.

Der populistischen Verführung müssen wir konsequent entgegentreten. Wenn es gelingt, den politischen Diskurs über Argumente und Ziele statt über Verunsicherung und Stimmungen zu führen, wäre schon viel gewonnen.